Reiseberichte


Europa
 
Europa Juni 2011 (Weltreise Tagebuch 142) nächstes Tagebuch
Freitag,10.06. Wien
Thomas hat Geburtstag und diesen besonderen Tag begehen wir mit einem ausgiebigen Stadtbummel durch die Wiener Altstadt. Aber erst wollen wir David in der Dänischen Botschaft, seinem eigentlichen Arbeitsplatz, besuchen, besorgen dafür eine mittelgroße Menge Kuchen, den wir mit der versammelten Botschaftsbesatzung incl. dem Herrn Botschafter persönlich im hochoffiziellen Sitzungsraum verspeisen. Eine nette Mannschaft! Am Stephansdom ist ein großer Touristenmarkt und es wimmelt von Menschen. Auch im Dom ist es sehr voll. Als wir hineingehen, traue ich meinen Augen kaum: die hohen Fenster sind mit Plastikfolien in verschiedenen, schreienden Farben bespannt, die das Licht im Kirchenraum einfärben. Zusätzlich sind auf der hinteren Empore zwei Projektoren aufgebaut. Die Projektionen fallen auf die schlanken Säulen, von denen Heiligenfiguren auf das Volk in den Kirchenbänken herabschauen und erinnern entfernt an durch bunte Glasfenster scheinendes Sonnenlicht. So entsetzlich kitschig finden wir Drei die gesamte Darstellung, dass wir sehr bald wieder ans Tageslicht zurückkehren und uns lieber die Katakomben des „Zwölf Apostel Kellers“, einer bekannten Kneipe in zwei untereinander liegenden alten Kellergewölben, anschauen. Vor vielen Jahren war ich schon mal hier drin, damals waren die Gewölbe sehr verqualmt und darum noch klaustrophobieträchtiger als heute, wo natürlich das Rauchen dort nicht mehr erlaubt ist... Auf unserem Rundgang kommen wir nun bald zur Spanischen Hofreitschule und zur Hofburg. Unzählige Fiaker drehen dort immer noch ihre Runden mit den Besuchern der Stadt, die Hufeisen klappern über das Kopfsteinpflaster. Ich dachte, in Wien trügen die Pferde inzwischen auch Gummischuhe... David zeigt uns stolz seinen Zweitarbeitsplatz: die Wiener UNO - Niederlassung, die standesgemäß in der Hofburg residiert. Da geht er nun fast täglich ein und aus... Nachdem wir nun die wesentlichen Highlights des Stadtzentrums oberflächlich gewürdigt haben, ist es Zeit für das geplante Geburtstagsessen, zu dem ich Thomas und David in einem vegetarischen Restaurant in der Nähe einladen will. Der Abend ist warm genug zum Draußensitzen, das Essen schmeckt gut und ist nicht mal besonders teuer, wir sitzen lange dort und lassen es uns gut gehen. Damit ist unser Tagesprogramm noch nicht beendet, denn Freitags treffen sich die Wiener Studienpraktikanten zum Stammtisch und dort will David mich vorstellen. Er habe so viel über seine Mutter und ihre Reise erzählt, dass seine Freunde neugierig seien, mich persönlich kennenzulernen. Gespannt, aber auch etwas skeptisch, wie ich mich im Kreis der Studenten fühlen würde, gehe ich daher mit zu dem Treffen, das in einem Biergarten im Zentrum stattfindet. Etwa 10 junge Leute sind schon da, ich werde kurz vorgestellt, ernte einige neugierige Blicke, aber dann wenden sich alle ihren Gesprächspartnern wieder zu. Doch bald komme ich ins Gespräch mit einem der Jungs, der mich interessiert und mit unverhohlener Bewunderung über unsere Tour ausfragt. Dann kommt ein anderer auf mich zu und ich entspanne mich: offensichtlich findet niemand was dabei, dass ich zu einer anderen Generation gehöre. Der Abend vergeht lustig und wie im Flug. Wenn ich gerade nicht beschäftigt bin, freue ich mich daran, zu sehen, wie gut mein Sohn in diesem Kreis von netten Leuten anerkannt ist. Als die Kneipe wegen der Sperrstunde für Gartenlokale schließt, ziehen wir weiter in eine nahe Disko. Naturgemäß ist es dort sehr laut und die folgenden Gespräche gehen ziemlich auf die Stimme, weil ich so schreien muss. Trotzdem ist es sehr nett und ich fühle mich gar nicht mehr fehl am Platz. Nachts um zwei bringt David mich zur U-Bahn, die mich nach Hause trägt. Die Studis feiern weiter, ich gehe zu Bett.
Sonnabend,11.06. Wien
Der Park von Schloss Schönbrunn steht heute auf unserem Plan. Die Sonne scheint, die gewaltigen Parkanlagen sind gut bevölkert. In den schattigen Alleen duftet es berauschend nach Lindenblüten. Wir versuchen, uns vorzustellen, wie man damals bei Fürstens hier lustwandelte. Der pompöse Brunnen mit seinen großen Marmorfiguren beeindruckt uns: Pferde und Reiter mit Fischschwänzen... Vom Spazierengehen hungrig führt David uns zum sogenannten Naschmarkt, wo wir uns gleich am ersten Antipasti-Stand so richtig schön übers Ohr hauen lassen. Der geschickte Verkäufer gibt uns verschiedene Oliven zum Probieren. Alle sind sie sehr lecker und wir beschließen, für unser geplantes Picknick im Park eine Mischung davon einzukaufen. Insgesamt 200 Gramm wollen wir haben von vier verschiedenen Sorten. Der Verkäufer greift 200 Gramm von jeder Sorte und da er sie zusammen in eine Tüte füllt, können wir nicht mehr so einfach zurück. Wegen des gelungenen Streiches grinsend zahlt David 22 Euro für ein knappes Kilo Oliven. Dazu besorgen wir uns noch ein paar Falafel, Fadenbrot und Schafskäse und setzen uns mit unserer Beute in einen nahen Park. Ein nettes Mädel aus Davids Clique kommt dazu und leistet uns Gesellschaft. In der Stunde, die wir dort verbringen, werden wir dreimal von verschiedenen Verkäufern einer Obdachlosenzeitung angesprochen. Regelmäßig fragen sie, nachdem wir die Zeitung nicht kaufen wollen, nach ´nem Euro. Geld kriegen sie nicht, aber sie nehmen auch gerne eine Banane an, die sie beim Weitergehen verdrücken...
Pfingstsonntag,12.06. Wien
Davids Mitbewohner hat uns zum Besuch des Technischen Museums geraten - das machen wir heute. In der großen Ausstellung zu verschiedenen Bereichen der Technik mit vielen Experimenten, wo man selbst diverse Phänomene ausprobieren kann, kann man sich lange herumtreiben! Thomas ist in seinem Element! Leider sind nicht alle Versuche komplett erklärt, sodass man zwar mitkriegt, was passiert, aber nicht richtig versteht, warum. Als um 18Uhr der Arbeitstag der Museumsangestellten zuende geht und alle Besucher vor die Tür gefegt werden, haben wir drei Stunden Besichtigung hinter uns, aber noch längst nicht alles gesehen.
Pfingstmontag,13.06. Wien
Thomas fährt nochmal ins technische Museum, das für ihn als Techniker natürlich deutlich spannender war als für David und mich. Wir fahren zusammen mit der U-Bahn los und trennen uns unterwegs. David und ich fahren bei herrlichem Sommerwetter weiter zum Kahlenberg, einem beliebten Aussichtspunkt, von dem man weit über die Stadt Wien schauen kann. Dazu steigen wir am Ende der U-Bahnlinie in einen vollen Bus, der uns den Berg hinaufschaukelt. Oben angekommen entziehen wir uns der feiertäglichen Menschenmasse nach einem Blick aufs städtische Panorama. Die Donau liegt silbrig glänzend im Sonnenschein, David zeigt mir die wesentlichen Fixpunkte seines Wiener Lebens: das Vienna International Center, das Stadtzentrum mit dem Stephansdom und der Hofburg, in der die UNO residiert. Schon ziemlich im Dunst liegt Schloss Schönbrunn mit seinen Parks. Um uns herum internationales Geplapper und Fotografiergeräusche, wir finden einen Trampelpfad in den Wald hinein und steigen durch das Unterholz den Berg hinab, bis wir an einen breiteren Wanderweg kommen. Der führt durch Weinberge und an Heurigen vorbei, wo überall sonntagsgelaunte Menschen bei Essen und Wein sitzen. Schließlich erreichen wir das Donauufer und folgen dem Fluss in die Stadt hinein. An der Einfahrt zum Donaukanal schauen wir, gemeinsam mit einer Gruppe von Radfahrern, beim Schleusen eines Ausflugsschiffes zu, das langsam tiefer und tiefer sinkt und dann unter dem sich hebenden Schleusentor hindurch in den Kanal fährt. Nach geschätzten 6-7 km Marsch pausieren wir in einer der chilligen Bars am Ufer des Kanals. Dort hat man Sand aufgeschüttet, Liegestühle unter kleinen Palmen in Kübeln laden zum gastronomisch aufgewerteten Sonnenbad ein, leise Loungemusik träufelt in die Ohren, Ausflugsdampfer fahren vorbei, ach jaah! Wir strecken die müden Knochen und genießen das wohlverdiente Bier. Gestärkt schlendern wir weiter und bewundern auf dem Weg zur U-Bahnstation einige schöne Specksteinskulpturen, die eine Künstlerin hier am Kanalufer ausstellt. Als ich Fotos mache, kommt sie auf mich zu und bittet mich um Zusendung der Bilder. Sie sagt, es sei für sie immer interessant, den Blickwinkel anderer Menschen auf ihre Werke zu sehen. Zuhause treffen wir Thomas wieder, der begeistert von seinem ausführlichen Bummel durch die Welt der Technik erzählt. Und dann machen David und ich uns ans Kochen, denn wir haben seine Mitbewohner zum Dinner eingeladen. Das geplante Curry gelingt gut und wir schmausen gemütlich in Fünferrunde.
Dienstag,14.06. bei Vlasim (Tschechien)
Am frühen Morgen verabschieden wir uns von einem sehr müden David, der in seinem seriösen Outfit bald Richtung Büro aufbrechen muss. Kurze Zeit später ziehen wir die Wohnungstür hinter uns ins Schloss, schleppen unser Gepäck die 65 Stufen des alten Hauses wieder hinunter (hoch war schlimmer) und machen uns auf den Weg durch Wien . Nördlich der Stadt wird die Landschaft immer flacher, die Berge bleiben zurück und schon nach einer Stunde kommen wir in Laa an der Thaya an die Grenze zu Tschechien. Die Grenzhäuschen verwaist, heutzutage kann man ohne Kontrollen von einem Land zum anderen wechseln, wie einfach das ist! Aber zum Thema "wechseln": das europäische Einheitsgeld ist in Tschechien noch nicht angekommen, dort zahlt man noch in Kronen. Gleich hinter der unbesetzten Grenze steht ein Container an der Straße, in dem man sich mit dem nötigen Zahlungsmittel versorgen kann. Thomas will hier gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und versucht, dem freundlichen Geldwechsler unsere letzten kroatischen Kuna anzudrehen. Eigentlich sei diese Währung hier nicht im Handel, heißt es, aber wie es der Zufall so will, hat der Mann selbst gerade eine kleine Tour nach Kroatien geplant und tauscht unser Geld für sich privat ein. Nach erfolgtem Deal kommt er aus seinem Kabuff zu uns und fragt uns staunenden Auges Löcher in den Bauch über unsere Reise. Nach dem reichen Österreich ist der Unterschied zum ärmeren Nachbarland deutlich zu sehen: kleine Bauerndörfer, alte Häuser, viele noch sozialistisch farblos, andere aber auch schon individuell verschönert. Alte Traktoren holpern über kleine Felder, Bauersfrauen arbeiten in ihren Gemüsegärten, deutlich weniger Autoverkehr, zumindest auf den schmalen Landstraßen, die wir uns auf der Karte heraussuchen. Tschechien ist von einem sehr dichten Netz dieser ländlichen Sträßchen überzogen, die Beschilderung hat sich in den letzten Jahren (2004 waren wir zuletzt hier und haben uns damals mangels Schildern ständig verfahren) deutlich verbessert. Bei wechselnd Sonne und Wolken fahren wir durch das hügelige Land, erst nach Znojmo, wo wir uns im historischen Zentrum etwas umschauen, dann weiter Richtung Iglau, durch kleine Wälder, dann wieder vorbei an wogenden Kornfeldern. An vielen Straßen stehen beidseits Obstbäume Spalier - wie schön muss es hier vor Kurzem während der Apfelblüte ausgesehen haben! Die Kirschen sind schon fast reif und leuchten rot durchs Laub. Hier kann sich zur rechten Zeit jeder mit, leicht abgasversetztem, Obst versorgen. Kurz vor Iglau wird der Verkehr dichter, wir ziehen uns auf eine noch kleinere Straße zurück, die unserem Geschmack wieder mehr entspricht und die in etwa parallel zur Autobahn Richtung Prag verläuft. Außer einem kleinen heftigen Schauer bleibt uns das Wetter wohlgesonnen, das Fahren macht mal wieder richtig Spaß. Die letzten Tage unterwegs zeigen uns nochmal, was wir am Motorradreisen so mögen... Kurz hinter dem Ort Vlasim südöstlich der Hauptstadt bauen wir in einem Wald unser Nachtlager unter Kiefern. Auf dem Waldweg begegnet uns eine schöne kupferfarbene Schlange, etwa 30 cm lang und nicht viel mehr als bleistiftdick. Sie liegt in einem Sonnenflecken und züngelt nervös, als ich ihr mit meiner Kamera zu nahe komme. Wir sitzen schon im Zelt beim Abendbrot, als ein Mountainbiker direkt an unserem Lager vorbeifährt. Unsere Anwesenheit scheint ihn nicht zu stören.
Mittwoch,15.06. Dresden
Vormittags fahren wir ungesehen wieder aus dem Wald heraus, mogeln uns auf schmalen Straßen an Prag vorbei, passieren die Kleinstädte Cesky-Brod, Lysa nad Labem und Benatky nad Jizerou, und nähern uns der Elbe, der wir dann nur noch bis Dresden folgen müssen. Beidseits der Windungen des breiten Flusses ragen die verwitterten Türme des Elbsandsteingebirges in den Himmel, wir vertanken unsere paar Kronen im letzten Ort vor der Grenze und fühlen in uns hinein, als wir uns unserem Heimatland nähern. Ein paar Duty-Free-Shops dort, wo früher die Kontrollen stattgefunden haben und dann steht da ein blaues EU-Schild mit dem Hinweis, dass man nun in Deutschland sei. Wir stoppen kurz, um ein historisches Foto von uns und den Moppeds vor dem Schild zu machen und werden prompt von einigen älteren Radfahrern angemuffelt, weil wir für eine Minute den Radweg versperren (die Straße daneben ist absolut frei...). Ach ja, so ist es also, nach Hause zu kommen... Noch 40 km bis Dresden. Im Feierabendverkehr fahren wir durch Königstein, dem Geburtsort meiner Oma, wo die Festung hoch über der Elbe trohnt und stauen uns stop and go durch Pirna hindurch. Dann halten wir an einer Telefonzelle an und Thomas ruft Helge an, einen Internetbekannten, der unsere Reiseroute in der letzten Zeit mitverfolgt hatte und uns kürzlich geschrieben hatte, wir sollten doch gerne bei ihm und seiner Frau Station machen, wenn wir nach Dresden kämen. Wir kommen nach Dresden und wir machen gerne bei ihnen Station. Um uns die Sucherei in der Stadt zu ersparen, verabredet Helge mit Thomas einen Treffpunkt am Stadtrand, wo er uns mit dem Auto abholt und nach Hause eskortiert. Prima Service - danke, Helge! Wir bekommen ein Ausklappsofa als Bett bereitet, dann sitzen wir mit Ramona zum Quatschen und Helge verschwindet in der Küche, aus der es bald lecker duftet. Es gibt Spinat-Lasagne und Salat, dazu ein Glas Rosé, das tut gut!
Donnerstag,16.06. Dresden
Helge fährt mit uns im Auto frühmorgens zur Zulassungsstelle, die wir eine Stunde später mit frischgedruckten Kurzzeitkennzeichen wieder verlassen können. Dass wir den Sachbearbeiter mit Reisegeschichten und einem unserer Info-Flyer aus seiner Büroroutine reißen, erleichtert den Vorgang etwas und lockt sogar ein Lächeln auf sein professionell gelangweiltes Gesicht. Nun kommen wir also, laut Nummernschildern, aus Pirna.. Da Helge sich den Vormittag bei seinem Chef freigenommen hat, fahren wir nach Befriedigung der Bürokratie zusammen auf einen Ausguck und er zeigt uns Dresden von oben. Dann setzt er uns am Theaterplatz ab und fährt zur Arbeit. Wir machen uns auf, die schöne alte Innenstadt mit ihren vielen Sehenswürdigkeiten zu erobern, spazieren durch den beeindruckenden Zwinger und am sogenannten Fürstenzug vorbei, einem großen Wandgemälde, auf dem sämtliche Fürsten, die hier in den letzten, bummelig 800, Jahren geherrscht haben, dargestellt sind. Auf kraftvollen Streitrössern sitzen sie, in ihren, durch die Jahrhunderte wechselnden Kostümen und schauen mehr oder weniger respekteinflößend auf die zu Scharen vorbeiströmenden internationalen Touristen herab. Unter jedem Fürsten steht sein Name samt vielsagendem Beinamen wie: „der Sanftmütige“ oder „der Beherzte“ und die dazugehörenden Jahreszahlen. In einem Bogengang steht ein Trompeter und spielt bekannte Songs. Während ich gerade darüber nachdenke, dass unsere Reise nun wirklich zuende geht, stimmt er das melancholische: „Time to say good bye“ an und treibt mir doch glatt damit das Wasser in die Augen... Nun kommen wir zur berühmten Frauenkirche, im Bombenhagel des 2. Weltkrieges zerstört und vor einigen Jahren unter immensem Aufwand wieder originalgetreu aufgebaut. Hier stauen sich die Besucher vor der Tür, die aufgrund einer Veranstaltung gerade geschlossen ist. Natürlich wollen auch wir in die Kirche hinein, also warten wir eine Viertelstunde, bis sich die Türe öffnet und die Menschenmassen hineindrängen. Drinnen setzen wir uns in eine Bank und schauen uns um. Der hohe Kuppelraum ist in zarten Farben gehalten, in mehreren Etagen ziehen sich die Sitzreihen bis weit über uns. Dort oben in den Logen saßen sicher früher die Fürsten... Man kann auch auf den Turm steigen und soll von dort einen schönen Blick über die Stadt haben, aber den hatten wir ja schon vom Berg aus und so sparen wir die etwas happigen 8 Euro pro Nase, die die Besteigung kosten soll. Vor der Frauenkirche steht Luther und denkt mal. Auf alten Fotos, auf denen die zerstörte Frauenkirche zu sehen ist, kann man ihn auch schon sehen. Anhand dieses Denkmals können wir uns orientieren und die alten Bilder mit dem heutigen Zustand des Platzes vergleichen. Links von uns ist eine große Baustelle, dahinter der schmucklose Quader des Kulturpalastes, der in starkem Kontrast zu den restaurierten Fassaden der alten Bausubstanz rund um die Kirche steht. Angeblich soll dieses Bauwerk aus DDR-Zeiten von als Konzertsaal von großer Bedeutung sein wegen seiner hervorragenden Akustik. Von draußen finden wir ihn schrecklich. Den ganzen Nachmittag wandern wir durch die Stadt, fahren dann mit dem Stadtbus zurück zu Helge und Ramona. Gemeinsam sorgen wir für eine große Schüssel griechischen Salat mit viel Schafskäse und verbringen einen weiteren netten Abend zusammen. Gestern kannten wir uns noch nicht und doch verstehen wir uns prima...
Freitag,17.06. nahe Havelberg
Helge und Ramona müssen früh zur Arbeit, aber wir können, nachdem wir uns von ihnen verabschiedet haben und sie uns ihren Wohnungsschlüssel anvertraut haben, in Ruhe packen. Dann fahren wir durch Dresden davon, zwischen den Straßenbahnschienen auf einer Kopfsteinpflasterstraße. Nach 20 km sind wir schon in Meißen. Der große Dom, daneben auf dem Hügel das beeindruckende Schloss, das Ganze vor der ruhig dahinfließenden Elbe, ein schönes Panorama! Vorbei an Riesa, Torgau und an der Lutherstadt Wittenberg, in der heute die Hochzeit Luthers mit Katharina von Bora gefeiert wird, wie uns ein Radfahrerpärchen während einer Kaffeepause im ebenfalls historischen Örtchen Dommitzsch erzählt. Die ganze Innenstadt sei voller Mittelalter, sagen sie. Sicher lustig, aber wir haben heute keine Lust auf solch ein Spektakel und lassen uns nicht aufhalten. In Coswig verlassen wir die Bundesstraße zugunsten der kleineren Straßen. Durch kleine Dörfer mit Namen wie „Hundeluft“, „Kuhberge“ oder „Wusterwitz“ arbeiten wir uns genüsslich nordwärts. Schon sind wir an Brandenburg vorbei - das geht ja schnell! Früher kam mir mein Heimatland so groß vor, jetzt erscheint es uns so klein... Kurz vor Havelberg, nahe dem Dorf Schollene, folgen wir einer Sandstraße, die zu einem Crossgelände ausgeschildert ist. Dort stören wir sicher niemanden mit unserem Zelt. In der Ecke einer großen Lichtung in einer Kiefernschonung sieht es gemütlich aus. Es ist niemand in der Nähe, die Abendvögel singen. Auch in Deutschland gibt es noch solche Plätze.
Sonnabend,18.06.Kiel
Ein fast australisch klingender Vogel weckt mich nach unserer letzten Nacht im Zelt auf dieser Reise - vielleicht ein Pirol? Beim Aufstehen nieselt es ein wenig, doch dann reißt der Himmel wieder auf und schenkt uns einen neuen Sonnentag. Ein frischer Wind erinnert uns daran, dass wir uns Norddeutschland nähern, während wir durch das schöne Havelland fahren. Manche Dörfer sehen hier noch recht ursprünglich aus, mit kleinen, knöterichüberwucherten Fachwerkkaten entlang der Kopfsteinpflasterstraße und einer, manchmal etwas baufälligen Backsteinkirche, die über ihre Schäflein wacht. In Havelberg freuen wir uns über die malerische Kulisse der Stadt am Fluss mit ihrem Dom und fahren weiter Richtung Prignitz, von dort weiter nach Wismar. Deutschland ist ein so kleines Land, dass wir viel schneller vorankommen, als gedacht. Schon sind wir an Wismar vorbei und an der Ostsee, die mit kleinen Wellen im Sonnenschein daliegt. Wir stoppen am Wasser für unsere Mittagspause und beinahe reizt es mich, ins gar nicht so kalte Wasser zu springen. Die vielen Quallen im Flachwasser bremsen meinen Elan, das erste Bad im „Zuhause-Meer“ kann noch etwas warten. Als wir uns der Fähre nach Travemünde nähern, wächst vor uns eine dicke graue Wolkenwand empor. Kurz bevor wir in den Regen hineinfahren, halten wir an einem Bushäuschen: lass uns den Schauer mal eben hier abwarten! Doch dieser „kurze Schauer“ ist keiner: es regnet sich ein und wir wurschteln uns notgedrungenermaßen in die Regenklamotten. Im Dauerregen fahren wir an der Schleswig-Holsteinischen Ostküste hoch und sind eine Stunde später schon in Kiel, wo wir Eric „überfallen“ wollen. Wie der Zufall es will, begegnet er uns in seinem Auto, als wir durch Holtenau fahren, um seine Adresse zu suchen! Ein wildes Hupen macht uns auf ihn aufmerksam, wir fahren alle auf einen Parplatz und dann springt er freudig aus seinem Bulli, um uns, so nass, wie wir sind, zu umarmen. Weiterer Zufall: er hat endlich mal ein freies Wochenende und seine Freundin Joanna kocht außerdem gerade ein traditionelles Gericht aus ihrer polnischen Heimat: es gibt Pirogen, zu denen wir herzlich eingeladen werden. Dann wird uns noch ein bequemes Bett frisch bezogen, in das wir uns spät abends nach nettem Beisammensein erschöpft fallen lassen.
Sonntag,19.06.Böel
Gemütliches Sonntagsfrühstück mit Eric, seiner Mutter und Joanna. Draußen grau, Dauerregen fällt unermüdlich aus den dicken Wolken. Na klar, Kieler Woche-Wetter... Gegen Mittag kommen wir nicht länger drum herum: wir müssen da raus in den Regen. Also wieder rein in die Gummipellen, mit einer Plastiktüte über dem Fuß in den nassen Stiefel wieder rein und auf die Straße. Die 50 km bis nach Schleswig regnet es durch, doch mir ist trotzdem sonnig zumute, denn in Schleswig erwarten uns meine Eltern und meine Tochter am Kaffeetisch. Es ist schön, zu so einer lieben Familie nach Hause zu kommen!! Als wir hupend auf den Hof fahren, schauen uns strahlende Gesichter aus dem Fenster entgegen und dann kann ich meine nassen Regensachen gar nicht schnell genug vom Leib reißen, um meine „kleine“ Tochter in die Arme zu schließen! Meine Mutter hat Erdbeerkuchen gebacken, lecker! Viel erzählt wird erstmal nicht, denn nun haben wir ja jede Menge Zeit dafür. Wir genießen einige Zeit miteinander, dann fahren wir Globusbiker unser letztes Stückchen Weltreise nach Böel. Ohne Regen, der hat sich erstmal verzogen. Auch in Böel werden wir von unseren Freunden und Nachbarn herzlich begrüßt und sogar die Sonne kommt noch hervor, während wir abpacken und uns erstmal provisorisch einrichten! Bei Rainer und Christiane dürfen wir uns zum Abendessen einladen (unser Kühlschrank ist noch leer und die Läden haben heute zu) und mit ihnen kommen wir, bei Pellkartoffeln, Spinat und Rührei und danach einem Gläschen Rotwein, schon fast richtig zuhause an.
Montag, 20.06.Böel
Bei Sonnenschein wache ich auf. Es ist kurz vor sechs Uhr morgens. Diese langen Tage im Norden sind doch was ganz Besonderes. Heute steht auf dem Programm, die Moppeds beim TÜV vorzustellen, damit wir sie in Deutschland wieder anmelden können. Und dann wird ein neues Zuhause gesucht, in dem meine Möbel aus der Garage, in der sie auf mich gewartet haben, verteilt werden können (Thomas hat ja seinen Bus, der kurzfristig auch für Zweie Platz bietet...). Auf eine Wohnung freue ich mich sehr nach dem Leben auf den 4 Quadratmetern unseres Zeltes. Eigene vier Wände haben eindeutig auch ihre angenehmen Seiten! Die will ich nun neu entdecken! Das sesshafte Leben greift nach uns. Unser nomadisches Dasein der letzten Jahre wird durch etwas Anderes abgelöst. Was dieses Andere sein wird und wie es sich nach der langen Auszeit anfühlen wird, ist ebenso spannend, wie die Reise selbst. Wir halten euch auf dem Laufenden....
Europa Juni 2011 (Weltreise Tagebuch 142) nächstes Tagebuch
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