Südamerika Reiseberichte

Chile
 
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Sonnabend, 22.03. - Tomé
Ich sitze an der Hafenmole in der Sonne, schließe Bekanntschaften und fotografiere die Tiere, die sich hier um Fischreste bemühen. Ein Seelöwe tauchte kauend auf und verschwand wieder, einige rotköpfige Geier stolzieren durch den Sand, Pelikane fliegen in kleinen Gruppen vorbei und überall sind große Möwen. Die kleinen braunen Bussarde patroullieren am Strand entlang, Kormorane tauchen in der seichten Brandung, ein kleiner dünner Hund sucht schnüffelnd nach Essbarem.
Und um mich herum geht man spazieren, schaut mehr oder weniger interessiert nach den Motorrädern und macht Ostereinkäufe in der Stadt. Eben sprach mich eine großstädtisch wirkende Frau an und gab mir ihre Mailadresse, damit wir bei ihr einkehren können, wenn wir nach Santiago fahren. Einfach so...
Thomas ist heute der Internetbeauftragte und in dieser Mission schon seit eineinhalb Stunden unterwegs. Langsam werde ich hungrig!
Aufgrund der langen Internetsitzung sind wir wieder nicht weit gekommen, nur 68km stehen abends auf dem Kilometerzähler. Und an den Fluss, wo wir uns mal wieder waschen wollten, kamen wir auch nicht, weil das ganze Ufer mit eingezäunten Kieferplantagen besetzt war. Immerhin fanden wir in den Plantagen einen gut versteckten Zeltplatz.

Sonntag, 23.03. - Cobquecura
Heute haben wir die Straßen beinahe für uns. Es ist kaum jemand unterwegs außer uns. Nach den ersten 80km legen wir an der Küste in Cobquecura eine Kaffeepause ein.
Wie kann man am Ostersonntag mittags schon so betrunken sein? Wir wollen hier nur ein Käffchen trinken! Da kommt dieser besoffene Gockel an und labert uns voll, sehr lästig. Ah, nun ist er weg... Neiiinnn, er kommt zurück mit dem nächsten Bier und vermischt sein gelalltes Spanisch auch noch mit ein paar Brocken Englisch. Ich kann so nicht denken! Mein unmissverständlich an die Lippen gelegter Zeigefinger bremst seinen Wortschwall mindestens vorübergehend und er fängt an zu gähnen. Vielleicht schläft er ein??
Hinter Cobquecura fängt die Erdpiste an, die mit einigen Schikanen versehen (steile Hänge mit sandigen Löchern und Wellblech) an der Küste entlang führt. Die ganze Gegend ist einheitlich rotbraun eingefärbt vom Staub der Straße.. Unterwegs querten wir ein paar kleine, sehr ärmliche Fischerdörfer direkt am Meer, dann ging es wieder in Serpentinen die Hügel hinauf.
Nach ca. 30km geht diese Piste plötzlich in eine nagelneue breite Teerstraße über und weiter die Küste hinauf. Eine schwarz-rot-gelbe Fahne mit einem Hinweis auf ein "Wellnessresort" mit Unterkunft machte uns neugierig, wir fuhren eine steile Einfahrt hinunter und wurden gleich von Christian und Betina in Empfang genommen.
Eine nagelneue schöne und fantasievoll gestaltete Anlage mit zwei schönen Cabañas und einem großen Sauna- und Poolbereich haben die zwei in einem Jahr strammer Arbeit hier aufgebaut und vor zwei Monaten eröffnet. Da heute Ostern ist, haben wir uns den Luxus einer Cabaña inclusive Saunebesuch erlaubt. Eine Dusche war sowieso überfällig nach den letzten Tagen ohne Wasserzugang...
Aber erstmal ein Strandspaziergang am wunderschönen leeren Strand mit schwarzem Sand und großen schieferartigen Felsen, gegen die die Brandung donnert. Die dichtbewachsene Steilküste mit Nalcas und verschieden grünen Moosen unter Kiefern und Zypressen macht heute bei bedecktem Himmel und Nebelschwaden einen sehr malerischen Eindruck. Oberhalb der Küste ist das Land, besonders in diesem Jahr, so trocken, hier fängt sich die Feuchtigkeit und erschafft diese traumhafte Strandlandschaft. Seelöwen und kleine Delfine kann man hier manchmal antreffen und jede Menge Seevögel, aber nur wenige Exemplare jener alles beherrschenden zweibeinigen Spezies...
Nach ausgiebigem Saunabad in der neuen Sauna mit großem Fenster in die urwüchsige Natur gab es ein wahres Festessen, auf den zwei Flammen des Herdes in unserer Cabaña zubereitet: Kartoffeln mit Rosenkohl an roter Paprika mit Knoblauch, dazu Frischkäsesauce, zum Nachtisch Vanilleflan mit Caramellsauce... Was unser Küchenkoffer alles so hergibt!
Durchgewärmt und sauber, entspannt und satt saßen wir bis spät in die Nacht bei einer Flasche Rotwein mit Betina und Christian zusammen, die viel Interessantes zu erzählen haben:
viele Jahre lang haben sie in Deutschland als Clowns für Kinder im Krankenhaus (siehe Kinofilm "Patch Adams") gearbeitet, sind dann mit einem Wohnmobil auf Südamerikareise gegangen, um auch dort die Erkenntnis des heilenden Effektes von herzlichem Lachen zu verbreiten. In der ersten Zeit ihrer Reise wurde ihr Projekt gefördert, später aber nicht mehr. Da sie auch, wie wir alle, von irgendwas leben müssen, haben sie sich dieses Grundstück gekauft, um dort kleinen feinen Tourismus zu betreiben. Ihre Idee ist es allerdings, mit dem dort verdienten Geld ihre Clownsarbeit weiter fortzuführen, denn daran hängt ihr Herz. Sie erzählten uns ganz erstaunliche Erlebnisse mit den Kindern hier in Südamerika. Von einem Kind, das in fünf Jahren im Heim kein Wort gesprochen hat, aber mit den Clowns sprechen konnte. Von Kindern, die in der Familie, wo der Vater entweder betrunken oder abwesend ist und ausserdem alle weiblichen Wesen der Familie, egal ob Ehefrau oder Tochter, sexuell missbraucht, schreckliche Gewalt erleben mussten und die sich an die Beine der Clowns klammerten und mit ihnen weggehen wollten...
Sehr ergreifend für uns und unbedingt förderungswürdig! Sie haben alle erdenkbaren Wege beschritten, um nun in Chile etwas staatliche Gelder zu bekommen - bisher ohne Erfolg, obwohl die Präsidentin dieses Landes früher Kinderärztin war und über die Zustände in ihrem Land Bescheid wissen sollte!
Wer sich weiter über dieses Thema informieren möchte, kann dies auf der Homepage von Christian und Betina, http://www.clown-projekt.com, tun. Und wer in der Gegend von Curanipe eine schöne Unterkunft sucht, sollte in ihrem Wellnessresort Suhaila (http://www.luzdeluna-suhaila.cl) aufschlagen. Mit dem Besuch dort kann die Clownsarbeit unterstützt werden, damit die beiden bald wieder an diese wichtige Aufgabe gehen können.

Montag, 24.03. - Camping Vichuquén
Da wir gestern von unserer Kameramisere erzählt haben, hatte Betina vorgeschlagen, doch lieber nochmal bei Sony nachzufragen, ob die Kamera inzwischen tatsächlich eingetroffen sei und bot uns ihre Hilfe dabei an, da Spanisch ihre Muttersprache ist.
Seid ihr bereit für die nächste Folge unserer Daily-Soap?
Betina und ich fuhren mit dem Auto auf den Berg, weil es nur dort Handyempfang gibt. Dort versuchte Betina, bei Sony anzurufen. Das klappte erstmal nicht, weil die Servicenummer nicht aus dem Mobilnetz angerufen werden kann. Also versuchte sie auf vielen Wegen, eine normale Telefonnummer von Sony zu finden. Die Einzelheiten darüber erspare ich meinen geduldigen Lesern, nur soviel: es dauerte eine halbe Stunde, war aber letztendlich erfolgreich.
Bei Sony sagte man ihr dann, eine Kamera dieses Typs sei nicht eingetroffen, die letzte hätten sie im Januar repariert. Nein, ganz sicher nicht. Nein, auch mit meinem Namen konnte sie nicht fündig werden. Wenden Sie sich doch bitte nochmal an den Transporteur...
Transporteur: ja, das Paket habe ich am 20. einem Paketdienst übergeben. Paketnummer xyz, muss dort angekommen sein.
Sony: Achso, das Paket xyz, ja, das ist hier. Wir wussten nicht, was wir damit machen sollen. (mein Name steht groß drauf, das Paket wurde per Mail mehrfach angekündigt und nachgefragt...) Ja, dann geben wir es nun an die Reparaturabteilung weiter, die schauen dann mal, was zu machen ist. Gegen Ende der Woche können Sie wieder anrufen.
Die nächste Folge beizeiten im gleichen Programm...
Chile gilt als das am besten organisierte Land Südamerikas! Wie wäre es uns mit der kaputten Kamera in Peru oder Bolivien ergangen??
So, nun wieder ins wirkliche Leben zurück:
Mittags brachen wir widerstrebend auf von dem schönen Ort, freuten uns dann aber auch an der schönen Landschaft und dem mühelosen Fahren bei gutem Wetter und auf glatter Straße. Die Carretera de la Costa brachte uns schnell bis Constitucion, einer etwas größeren Stadt an der Mündung des Rio Maule. So interessant wirkte sie auf uns nicht, darum begnügten wir uns mit einer Mittagspause am vermüllten Flussufer mit Blick auf die Stadt, bevor wir weiterfuhren.
Schöner sind die kleineren Orte, die zum Teil noch alte Bausubstanz haben: flache Häuser mit weitvorspringenden Ziegeldächern, die von weißen Säulen gestützt werden und mit ihren verwitterten dunkelroten Anstrichen und leuchtendvioletten Bougainvilleabüschen im Hof den etwas melancholischen Charme von vergangenem Wohlstand ausstrahlen.
Am Nachmittag kamen wir wieder nicht drum herum, den Teer zu verlassen, denn die Küstenstraße ist noch nicht durchgehend geteert und die einzige Alternative ist oft die Panamericana, die große durchgehende und viel befahrene Autobahn. Die wollen wir nicht, also bleibt mal wieder nur Piste, heute auch noch mit Baustelle und teilweise recht weichem Sand bzw. Wellblech. Kurz hinter dem kleinen Ort Vichuquén standen Schilder, die auf einen Campingplatz hinwiesen. Da in dieser relativen Nähe zur Hauptstadt alle Seen dicht mit Wochenendhäusern bebaut sind, hatten wir wenig Hoffnung, einen freien Zeltplatz zu finden und folgten den Schildern (auf denen ausserdem stand, es würde deutsch gesprochen).
Ca. 10km abenteuerliche Erdstraße, davon die letzten 1,5km recht steil bergab zum See, brachten uns zu einem sehr gepflegten Platz, wo jeder Zeltplatz einen eigenen Tisch unter einem Sonnenschutzdach und einen eigenen Steg zum Wasser hat. Am gegenüberliegenden Ufer große teure Ferienhäuser, der See klar und warm, nur zwei Pärchen außer uns auf dem Platz - die mühsame Anfahrt hat sich gelohnt!
Abends besuchte uns der deutschstämmige Besitzer und erzählte uns ein wenig von der Vergangenheit des Platzes, den er vor ca 30 Jahren aufgebaut hat, als es noch gar keine Straße hierher gab und alle Wege mit dem Boot gemacht werden mussten. Er empfahl uns eine Kajaktour über den See, mal schauen, wie uns morgen so zumute ist...

Dienstag, 25.03. - Camping Vichuquén
Es ist nachmittags um halb vier, wir lungern auf unserem Steg in der Sonne herum und erholen uns von der besagten Paddeltour. Den Tag begann ich mit einem Bad im See, als noch der Nebel tief über dem Wasser hing. Das Wasser war fast wärmer als die Luft, am See war alles still, sehr schön. Danach schnell nochmal in den Schlafsack, zum Aufwärmen an den noch drinliegenden Menschen gekuschelt..
Beim Frühstück beschlossen wir, das schöne Wetter (der Nebel hatte sich in der Sonne aufgelöst) zum Paddeln zu nutzen. Noch ehe der mittägliche Wind aufkam, saßen wir in den offenen flachen Kajaks und fuhren die Küste entlang, Häuser begucken.
Es gibt hier Leute mit richtig viel Geld! Nachfragen bei der Chefin des Platzes ergaben dazu, dass es einige große Geschäftsleute gibt, die hier ihre Supervillen haben und als Arbeitgeber für die hiesige Bevölkerung recht beliebt sind.
Die Arbeit in den Häusern und Gärten ist nicht schwer und wird relativ gut bezahlt. Einige dieser Leute versuchen auch, sich sozial für die Region einzusetzen und lehren die einfachen Leute, kleine Dinge zu produzieren und in Cooperativen zu verkaufen, wurde mir berichtet.
Nach zwei Stunden gemütlicher Paddelei auf dem ruhigen See waren wir wieder zurück am Platz und fanden dann, dass es eigentlich nicht mehr lohnt, heute noch einzupacken und weiterzufahren. So haben wir nun Zeit zum Schreiben und was sonst immer noch so anliegt. Morgen ist ja auch noch ein Tag...

Mittwoch, 26.03. - Rio
Wir verließen den Platz gegen Mittag und schraubten uns die steile Erdpiste wieder empor. Die nächsten 50km mussten wir noch mit Erdstraße in interessanter hügeliger Küstengegend vorlieb nehmen, wo in großen Becken Salz gewonnen wurde, dann waren wir wieder zurück auf dem Teer und hatten abends tatächlich mal wieder fast 200km Tagesleistung auf dem Tacho.
Auf dem Weg in das Küstenstädtchen Navidad führte die Straße auf einmal in engen Serpentinen in ein breites fruchtbares Flusstal, wo, nach der gelbtrockenen Hügelregion, alles grünte. Wiesen, Maisfelder, Obstgärten mit Feigen- und anderen Bäumen, alles strotzte vor Leben und Fruchtbarkeit. Dort bogen wir auf der abendlichen Schlafplatzsuche, in eine kleine Teerstraße ab, die uns direkt an den Fluss brachte. Dort stand ein deutsches Wohnmobil: Martin und Jutta aus Recklinghausen hatten die gleiche Idee wie wir und verbrachten mit uns dort die Nacht.
Abends und beim nächsten Frühstück saßen wir zusammen und erzählten uns Reisegeschichten - das war nett!

Donnerstag, 27.03. - Valparaiso
Auf den letzten 100km bis in die große Stadt nahm der Verkehr auf den Straßen spürbar zu. WIr fuhren durch einige mehr oder weniger herausgeputzte Seebäder, mit vielen kleinen Cabañas oder auch riesigen Appartmentklötzen an breiten Stränden und nutzten jede Möglichkeit, den Hauptrouten auszuweichen. So kamen wir fast bis Valparaiso, ohne die Autobahn zu benutzen. Nur auf den letzten Kilometern erwischte uns eine Baustelle mit vielen LKW, die Staub aufwirbelnd vor uns her krochen.
Die anvisierte Adresse der Villa Kunterbunt fanden wir ohne große Schwierigkeiten, wobei uns der hektische Stadtverkehr doch einiges Adrenalin durch die Blutbahn jagte. Wir sind sowas ja nicht mehr gewohnt...
Bei Martina und Enzo in ihrer urigen alten Villa konnten wir uns dann fallen lassen und saßen mit etwas Bier und selbstgemachter Musik noch lange zusammen.

Freitag, 28.03. - Valpo
Mit Ohrenstöpseln kann man auch hier schlafen, wo der Verkehr die halbe Nacht ums Haus herum brandet. So ein Bett ab und zu ist doch eine feine Sache!
Morgens bereitete Martina ein kräftiges Frühstück für uns, das wir uns draußen im Hof schmecken ließen. Nach stundenlanger Internetsession und verschiedenen Versuchen, unserem zweiten erwarteten Paket hinterher zu spionieren, machten wir uns auf Erkundungstour in die Stadt, eledigten einige Tagesordnungspunkte auf unserem Zettel und schauten uns ein wenig um.
Die sehr steil am Hang liegende Stadt hat eine berühmte Spezialität: die Aufzüge. An verschiedenen Stellen kann man für wenig Geld mit uralten, an den Hang geklebten Kabinenaufzügen die Höhenunterschiede bewältigen und hat dabei oft einen fantastischen Ausblick über die Stadt, den florierenden Containerhafen und die Bucht. Auch wir fuhren natürlich mit so einem Aufzug, der auf 175 Metern Strecke 80 Höhenmeter überbrückt. Langsam und stockend schob sich die alte Eisenkabine den Berg hinauf, oben fanden wir einen "Mirador", einen Aussichtspunkt. In der zunehmenden Dämmerung schauten wir über das blinkernde Lichtermeer der Stadt, bevor wir weiter den Berg hinauf zu unserem Domizil wanderten.

Sonnabend, 29.03.
Ach, wie schwierig sind in fremden Ländern viele Dinge zu erledigen, die uns zuhause nur ein paar Klicks oder einen Anruf kosten! Unter diesem Motto stand der heutige Einkaufstag in Valparaiso. Schließlich kamen wir jedoch am frühen Abend mit frischem Motorenöl, zwei reparierten Reissverschlüssen an Thomas' Tankrucksack ( eine freundliche Verkäuferin in einem kleinen Nähwarenlädchen setzte mit Geschick und großem Einsatz neue Zipper ein und kassierte dafür knapp eineinhalb Euro, anstatt uns für wesentlich mehr Geld neue Reissverschlüsse zu verkaufen, die wir dann für noch mehr Geld hätten einnähen lassen müssen) und sogar einem O-Ring in der richtigen Größe für Fosters Öleinfüllstutzen mit dem Taxi zurück in unser Domizil. Dort war inzwischen eine befreundete Familie unserer Herbergsleute mit Hund und Kids eingetroffen: ein wilder Trubel im ganzen Haus. Bis spät in die Nacht feierten wir mit ihnen und hatten viel Spaß.
Sonntag, 30.03.
Heute nacht wurden sowohl in Chile als auch in Deutschland die Uhren umgestellt: nun wurden aus vier Stunden Zeitverschiebung gleich sechs! Hier kam uns die zusätzliche Stunde nach der vergangenen Nacht ganz recht... Wir schreiben, wechseln Öl, übersetzen Texte - und dabei wollten wir heute einen freien Tag einlegen!

Montag, 31.03.
Die Tage werden schon kühler, es wird Herbst. Heute habe ich den ganzen Tag über meine Fleecejacke nicht ausgezogen.
Mit der freundlichen Hilfe von Martina und Enzo regeln wir allerhand Dinge und genießen das nette Ambiente und die gute Infrastruktur. Der Bus, der uns ins Zentrum bringt, fährt direkt vor dem Haus los und bringt uns auch wieder bis vor die Türe. Hunderte kleiner Busse mit verwirrenden Bezeichnungen wuseln drängelnd durch die Stadt, langsam finden wir uns zurecht..
Unsere Videokamera wird nun endlich repariert und wir können sie wohl in zwei Wochen zurück bekommen. Wir denken nun darüber nach, was wir mit dieser Zeit anfangen. Es gibt noch genug zu tun, aber die Kosten einer festen Unterkunft greifen doch recht tief in unsere Reisekasse.
Heute abend gucken wir uns ein richtig schönes Video an, das ist doch mal was!

Dienstag, 01.04.
Nach dem Frügstück fragte Enzo, ob wir Lust hätten, einen Blick auf das nicht touristische Leben der Stadt zu werfen. Klar haben wir Lust! WIr spazieren zu viert durch kleine Straßen bergab zu einem ärmlich wirkenden Viertel, wo laut Enzo viele Dealer und andere Kleinkriminelle hausen und man auch nicht unbedingt mit umhängender Kamera herumlaufen sollte. Hier kehren wir in einer kleinen alten Bar ein. Ein altes Ehepaar führt diese Bar und gibt ein paar armen Säufern ein warmes Mittagessen und danach ein großes Glas billigen Rotwein. Wer seine Suppe nicht ißt, bekommt auch keinen Wein, dafür sorgt die freundliche zahnlose Wirtin, die uns in einem speckigen Haushaltskittel entgegentritt. Sie und ihr ebenfalls mehr als 80-jähriger Mann begrüßen Martina und Enzo sehr erfreut und bieten uns einen wackeligen Tisch und etwas zu Trinken an.
Ein alter Seebär wie aus dem Bilderbuch, mit roter Knollennase und ebenfalls zahnlos, grinst uns über sein Weinglas hinweg freundlich an - seine Worte kann ich in der Geräuschkulisse und seiner undeutlichen Sprache überhaupt nicht verstehen, das macht aber scheinbar nichts.
Ein anderer Mann sitzt mit Lederschürze im helleren Bereich der Bar, die nicht größer ist, als ein normales Wohnzimmer und bestimmt seit 50 Jahren nicht mehr verändert wurde und biegt mithilfe einer Spitzzange Kupferdraht in künstlerische Kettenglieder für dekorative Halsketten. Als ich ihn frage, ob ich mir seine Arbeit einmal anschauen dürfte, schenkt er mir die gerade fertiggestellte Kette, an der er sicher schon den ganzen Tag gearbeitet hat. Ich freue mich sehr über dieses Geschenk, fühle mich durch die Freigiebigkeit dieses armen Mannes, der mit seiner Arbeit wohl nicht mehr als ein Bett im Asyl und etwas Geld für Essen und Trinken verdient, aber auch etwas beschämt.
Während Enzo mit den Leuten spricht, schauen wir uns die ehemals türkisfarbenen Wände mit den vergilbten Fotos eines lokalen Fußballvereines an, sehen zu, wie die Wirtin das Gemüse für die nächste Mahlzeit schnibbelt und dabei zahnlos über Enzos Witze lacht und schlürfen unsere Cola.
Wir ziehen weiter durch die Stadt, schauen uns eine schlichte Kirche an, aus der vor einiger Zeit sogar die Hostie geklaut wurde und kehren in einer alten Seemannskneipe von höherem Niveau ein. Eineinhalbstöckiger, dämmeriger Raum mit Rettungsringen und James Dean-Fotos an den Wänden und großen Spiegeln hinter der Bar, wo ein älterer Vollprofi unsere Drinks schüttelt: Enzo gibt aus: Pisco sour, das chilenische Nationalgetränk aus Limonen und eine Spezialität aus Likörwein mit Cognac und gut geschütteltem Ei - ist das lecker!
Schon etwas angeschlagen landen wir im nächsten Lokal, nachdem wir zwischendurch bei einer 100-jährigen, ehemals deutschen Schlachterei Wurst eingekauft haben. Auch hier wurde schon seit vielen Jahren nichts mehr verändert, die weißgekachelten Wände und die uralten Kühlschränke sind durchaus museumsreif.
Das nächste Lokal ist ein einaches Schnellrestaurant, wo man "Completos", die chilenische Version des Hotdogs, essen kann. Uns ist nicht nach Essen, wir trinken lieber einen Kaffee! Hier bekommt man immer "cafe con leche" auf Chilenisch und das ist löslicher Kaffee ohne Wasser, nur mit kochendheisser Milch aufgegossen. Das schmeckt sehr lecker, am besten mit Zucker! Enzo erzählt uns von den Geschichten und den Besonderheiten der einzelnen Lokalitäten und ihrer Besitzer, sehr interesant.
Es ist inzwischen schon früher Nachmittag, Martina und Enzo müssen nach Hause, die Kids kommen gleich aus der Schule. Wir schlendern weiter und gehen einkaufen: heute kochen wir für alle. Eine schöne Entdeckungstour auf besondere Art.
Den langen Abend bis um 2 Uhr nachts sitze ich am Rechner und sortiere Fotos.

Mittwoch, 02.04.
Heute war der Himmel zum ersten Mal den ganzen Tag lang grau. Der Vormittag ging mit Motorradwartung drauf, nachmittags konnten wir die bestellte CDI für Foster (Reserve) abholen und ich kaufte nun doch einen Satz Pirellis MT60 für Jolly. Ein hoffentlich guter Kompromiss zwischen Stollen- und Straßenreifen und nicht sehr teuer (Vorderreifen 40€, Hinterreifen 60€... naja, so billig dann auch nicht...)
Jeder von uns hatte einen Reifen als Schärpe umhängen, als wir mit dem Bus wieder zur Villa Kunterbunt fuhren. Aufziehen tun wir selbst, inzwischen haben wir ja wieder Übung im Reifenwechseln.
In den nächsten Tage werden wir wohl hier noch genug zu tun haben, bevor es weitergehen kann.



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