Reiseberichte


Europa
 
Europa Mai 2011 (Weltreise Tagebuch 138) nächstes Tagebuch
Freitag, 13.05. Istanbul
In der Nacht war es richtig frisch in unserem Zimmer. Wir haben gut geschlafen, funktionieren aber noch nach thailändischer Zeit und wachen darum früh auf. Das Frühstücksbüfett mit Brot, Butter, Käse, Marmelade, gekochten Eiern und Obst genießen wir sehr nach dem vielen Reis in Thailand und schauen uns dann im Stadtteil Kadiköy um. In schmalen Seitenstraßen lebendiges Marktleben, an gut sortierten Ständen herrlich frisches Gemüse, fangfrischer Fisch, duftendes Brot, von kräftigen Stimmen angepriesen. Wir setzen uns mitten im Getümmel in ein Café und genießen das Treiben drumherum. Von einer nahen Moschee ruft der Gesang des Muezzin zum Freitagsgebet, in der Gasse neben dem Café breiten die Männer ihre Matten aus. Bald ist die Gasse voll mit betenden Gläubigen, die sich gen Mekka verbeugen. Marktbesucher quetschen sich an ihnen vorbei, niemand stört sich dran, der Verkauf geht weiter. Später schlendern wir am Hafen entlang, schauen den vielen Fähren zu, die ständig über den Bosporus kreuzen und sitzen vor dem schlossartigen, großen Gebäude des Haydarpasha-Kopfbahnhofes in der Sonne. Tauben und Katzen (!) streiten sich um Brotkrumen, die ihnen von Spaziergängern zugeworfen werden. Wir haben schon lange nicht mehr so viele Katzen gesehen, wie hier in der Stadt herumlaufen! Die meisten von ihnen sehen etwas struppig und verwildert aus, aber gehören offensichtlich für die Menschen irgendwie dazu. Im Markt sahen wir einen Fischverkäufer, der hingebungsvoll eine schwarze Katze kraulte, die ihm um die gummigestiefelten Beine strich...
Sonnabend, 14.05. Istanbul
Wir erleben das erste richtige Frühlingswochenende dieses Jahres in Istanbul. Als wir mit dem Wassertaxi von Kadiköy über den Bosporus fahren, scheint schon die Sonne, in der dunstigen Luft trohnen die großen Kuppeln und schlanken Minarette der Hagya Sophia und der Blauen Moschee über der Stadt. Ein vielversprechender Start in unseren ersten Besichtigungstag der europäischen Seite Istanbuls! Am Stadtanleger Eminönü lassen wir uns mit der Menschenmenge von Bord und in die halbdunklen Gänge des sogenannten "ägyptischen Bazares" spülen, wo in vielen kleinen Läden bunte Halden duftender orientalischer Gewürze neben ebenso verführerischen Auslagen verschiedener türkischer Süßigkeiten, kunstvoller Keramik oder bunter Lampen wie aus einem orientalischen Märchen zum Kauf angeboten werden. Vor jedem Laden ein "Aufreißer", der die neugierig vorbeischiebenden Massen freundlich ermunternd auf seine Waren aufmerksam macht. Ein Fest für die Sinne! Weiter lassen wir uns durch die schmalen Straßen treiben, wo Schuhputzer bei der Arbeit sind und schnauzbärtige alte Männer, schwatzend und teetrinkend, das Treiben beobachten. Bergauf steigen wir, finden in einem Buchantiquariat für 3 Lira (etwa 1,5 Euro) ein altes deutschsprachiges Buch über die Kunstschätze der Stadt und geraten bald mitten in den Rummel der Touristenbusse vor der Hagya Sophia ("Heilige Weisheit"). Die im 6.Jh. nach Chr. erbaute Kirche, die nach der Eroberung Konstantinopels durch Mehmet den Eroberer im Jahr 1453 kurzerhand zur Moschee umgebaut wurde, ist eines der Wahrzeichen Istanbuls und dient heute als Museum: ein eindeutiges touristisches Muss. Die Menschenschlange vor dem Eingang schreckt uns vorläufig ab, heute schauen wir uns das imposante Gebäude lieber von draußen an. Zu diesem Zweck setzen wir uns auf eine Bank unter rosablühenden Kirschbäumen auf halbem Weg zur Blauen Moschee, die mit ihren sechs Minaretten ebenso gewaltig und dekorativ in den frühlingsblauen Himmel ragt. Die zu Beginn des 17.Jh. von Sultan Ahmet I. erbaute "Blaue" Moschee verdankt ihren Beinamen den blaugrünen Kacheln, die heute den Innenraum verzieren. Die ungewöhnlich große Anzahl an Minaretten wird mit einer netten Geschichte erklärt, nach der Sultan Ahmed bei seinem Baumeister goldene Minarette bestellt hatte. Das nötige Blattgold hätte aber bei Weitem das zur Verfügung stehende Budget gesprengt und darum soll sich der pfiffige Architekt aus der Affäre gezogen haben, indem er ein sprachliches Missverständnis vortäuschte: anstatt goldener (altin) baute er sechs (alti) Minarette. Da diese Anzahl an Minaretten bis zu diesem Zeitpunkt nur Mekka vorbehalten war, meinte man dort nach dem Bau der Blauen Moschee, "nachrüsten" zu müssen und baute ein siebtes... Wir schließen uns dem Strom der Besucher an, dem durch die "Hintertür" des riesigen Kuppelbaus, die Vordertür ist den muslimischen Gläubigen vorbehalten, Einlass gewährt wird. Auf großen Schildern ist u.a. zu lesen, dass der Besucher gebeten wird, seine Schuhe auszuziehen und sie in eine Plastiktüte zu stecken, die man am Eingang von einer Rolle ziehen kann. Wie am Gemüsestand im Supermarkt. Weiter sollen Menschen weiblichen Geschlechtes bitte ihren Kopf mit einem (als Leihgabe erhältlichen) Tuch bedecken und auch ansonsten möchten beiderlei Sorten Mensch ihre Arme und Beine verhüllt durch den heiligen Raum bewegen. Mein erster Eindruck beim Betreten des Gotteshauses ist das deutliche Aroma ungezählter Schweißfüße. Puh! Die angekündigten blauen Kacheln mit ihren Pflanzenornamenten und arabischen Schriftzeichen liegen im Halbdunkel des Raumes, die gewaltige, zentrale Kuppel büßt einen Teil ihrer Wirkung ein durch zahllose Lampenkabel, die von der hohen Decke herabhängen und den Raum zerschneiden. Wir schauen uns etwas enttäuscht um und verlassen die Moschee bald, dem Drang nach frischer Luft folgend. Auf der großen Treppe vor der Tür sitzen Hunderte Besucher und ziehen ihre Schuhe wieder an. Genug Geschichte für heute - wir fahren mit der hochmodernen Tram zu unserem Blind Date mit Aysun, einer neuen Bekannten, die mich vor Kurzem über "Social Networking" angeschrieben hatte. Im Kneipenviertel nördlich der Galata-Brücke sind wir verabredet. Da wir noch etwas Zeit haben, gehen wir von der Brücke aus zu Fuß durch schmale Straßenschluchten den Berg zum Galata-Turm hinauf, einem dicken Festungsturm, umgeben von alten Häusern. In den Gässchen befindet sich offenbar das Zentrum der Werkzeug- und Maschinenhändler, die auf der Straße vom Schraubenschlüssel bis zur Kettensäge alles anbieten. Eine weitere Gasse gehört den Glas- und Plexiglasverkäufern. Auf einem handgemalten Schild steht „Pileksi-Gilas“.. Über viele Treppen geht es den Berg hinauf. Wer sich diese Mühe sparen will, kann mit dem „Tünel“ fahren, einer uralten Standseilbahn, die durch einen Tunnel verläuft. Bald haben wir das Cafe, in dem Aysun sich mit uns treffen will, gefunden und warten aufgeregt auf unser „blind date“. Und da ist sie auch schon, umarmt uns herzlich und wir haben sofort einen guten Draht zu ihr. Eine sehr lebendige und interessante, lustige Frau Ende dreißig, von Beruf Zahnärztin und seit zehn Jahren begeisterte Bikerin. Sie fährt eine BMW F650 und möchte in den nächsten Jahren gerne auch auf Reisen gehen. Wir verstehen uns so gut, dass wir den ganzen Abend zusammen verbringen und sie uns schließlich für die nächsten Tage, in denen wir mit der Befreiung unserer Bikes zu tun haben werden, ein Zimmer in ihrer Wohnung anbietet. Sehr nett! Sie wohnt nicht weit von dem Agentenbüro entfernt, wo wir am Montagmorgen unsere Papiere für den Hafen abholen sollen. Wie praktisch ist das denn?! Nach einer leckeren Gemüsemahlzeit (man kann sich aus verschiedenen Behältern mit Spinat, Bohnen, Gratin, Kartoffelsalat etc eine Mahlzeit zusammenstellen und es schmeckt endlich mal wieder richtig vertraut mit viel Petersilie und Zwiebeln und ganz ohne Reis!) in einer kleinen Kneipe mit herumflitzenden Kellnern führt Aysun uns ins samstagabendliche Leben der Stadt ein. Der gesamte Bereich nördlich des goldenen Horns bis zum zentralen Taksim-Platz ist eine einzige Vergnügungsmeile, wo sich Unmengen von Menschen in Freizeitlaune durch die Sträßchen schieben. Dicht an dicht Restaurants, die ihre Tische bis fast in die Straßenmitte bauen. Da es abends noch recht frisch ist, stehen außerdem viele gasbetriebene Heizpilze zwischen den Tischen. Es bleibt nur ein schmaler Gang frei, überall sitzen Leute beim Essen und Trinken, Kellner bemühen sich, noch mehr Gäste in den eigenen Bereich zu verführen. Was für eine Ansammlung von Menschen! Uns schwirrt bald der Kopf, während Aysun uns immer weiter führt und wir nebenbei versuchen, uns zu unterhalten (sie spricht übrigens gutes Englisch). Irgendwann geben wir auf und sie bringt uns am zentralen Taksimplatz zu einem Dolmus-Taxi, mit dem wir zum ersten Mal über die erleuchtete große Brücke über den Bosporus und zurück nach Kadiköy fahren.
Sonntag, 15.05. Istanbul
Aysun hat unseren Sonntag geplant, wir folgen ihrem Vorschlag und fahren, nachdem wir gepackt und ausgecheckt haben, mit einem Dolmus (Sammeltaxi) zum Bostanci- Fähranleger. Von dort startet das Schiff zu den Prinzeninseln. Wir kommen ein paar Minuten zu spät, aber das Schiff ist noch da. Mediterranes Zeitmanagement. Die vier kleinen Inseln liegen im Dunst über dem glatten Meer, nach einer guten halben Stunde Fahrt steigen wir an der größten der Inseln, Büyükada (türkisch für "große Insel") von Bord. Schon vom Schiff aus sehen wir schöne Holzhäuser am Hang, mit Palmen und Zypressen in den Gärten, in der Sonne liegen. Aysun hatte uns erzählt, dass es auf den Inseln keine Autos gibt, stattdessen bewegt man sich in Pferdekutschen von A nach B. An den Wochenenden, besonders natürlich an einem so schönen Frühlingswochenende ist Büyükada ein beliebtes Ausflugsziel der gestressten Städter, schnell und billig zu erreichen und einfach schön. Wir schlendern erst an der Küste entlang, wo sich ein Fischrestaurant ans Nächste reiht. An der Kaimauer stehen weißgedeckte Tische, die Kellner, ganz in schwarz, bemühen sich um Kundschaft. Als wir weiterspazieren, sehen wir die ersten Kutschen, bespannt mit jeweils zwei schlanken Pferdchen, die auf weichen Gummisohlen eifrig und fast lautlos über den Teer traben. Hunderte diese Pferdetaxis sind auf der Insel unterwegs, häufig fahren sie dicht hintereinander her und überholen sich sogar gegenseitig, was die ebenfalls zahlreichen Radfahrer (die Fahrräder kann man leihen) zwingt, an den Straßenrand auszuweichen, wenn sie nicht überrannt werden wollen. Nicht ganz ungefährlich, dieser geräuscharme Verkehr. Besonders wenn man, wie wir, verzückt mit dem Fotoapparat den vielen malerischen Ausblicken nachjagt und dabei nicht richtig aufpasst! In verwildertem Garten eine zerfallende Villa, an den Wänden blühen Glyzinien. Auf der efeubewachsenen Steinmauer davor sitzt eine der vielen streunenden Katzen und schaut aus grauen Augen direkt in die Kamera, im Hintergrund glitzert das blaue Meer im Sonnenschein... Hunderte solcher Motive finden sich hier und dafür kann man sich schon mal überfahren lassen! Jenseits des Wassers die dicht bebauten südlichen Ausläufer der Riesenstadt. 20 Millionen Einwohner hat Istanbul, sagt Aysun. Da ist so in etwa die gesamte Bevölkerung des australischen Kontinentes in einer Stadt versammelt! Unvorstellbar... Wir vertrödeln den Sonntag bei herrlichem Wetter auf der schönen Insel. Amseln singen, Obstbäume und Gänseblümchen blühen, fast wie zuhause. Endlich mal wieder ein richtiger Frühling für uns! Eine halbe Stunde vor der geplanten Abfahrt eines der Schiffe finden wir uns wieder am Anleger ein. Am noch geschlossenen Gitter drängeln sich schon die Menschen. Als der Weg freigegeben wird, eilen die Menschen an Bord, gehen dabei recht ruppig miteinander um. Wir haben Glück und bekommen noch einen Sitzplatz für die knapp einstündige, direkte Fahrt zurück nach Kadiköy. Die letzten Fahrgäste haben das Nachsehen und müssen stehenbleiben. Darum also das Gedrängel.. Im Hostel sammeln wir unsere Rucksäcke ein und schaukeln, während die tiefstehende Sonne hinter den großen Moscheen Motive für sehr stimmungsvolle Fotos zaubert, wieder mit einem Schiff über den Bosporus. Diesmal zur Anlegestelle Besiktas, von wo aus wir mit dem Taxi für 35 Lira zu Aysun nach Maslak weiterfahren. Sie winkt uns schon aus ihrem Wohnzimmerfenster in einem großen Wohnblock zu, während wir das Gepäck aus dem Kofferraum des Taxis wuchten und zwei Treppen später heißt sie uns in ihrer geräumigen und gemütlichen Vier-Zimmerwohnung willkommen.
Montag, 16.05. Istanbul
Erster Schritt der Bike-Befreiung: beim Agenten die sogenannten Ordinos abholen, die offiziellen Hafenpapiere. Ohne die geht gar nichts und darum kostet ein solches Stück Papier auch 100 Dollar. Dazu kommen noch Hafenkosten von etwa 150 Dollar für jedes Motorrad - schwupp, sind wir 1000 Lira los. Immerhin wohnen wir nun ziemlich nahe am Büro der Agentenfirma und brauchen nur fünf Minuten mit dem Taxi zu fahren. Eine halbe Stunde später und um viele überzählige Geldscheine leichter spazieren wir durch den warmen Sonnenschein entlang der vielbefahrenen Hauptstraße zurück, kaufen noch eine große Tüte voll frischem Gemüse ein und ziehen uns für den Rest des Tages in Aysuns gemütliche Wohnung zurück. Pause... Während ich an meinem Tagebuch sitze, klingelt es an der Wohnungstür. Ein Mann steht davor und wirft mir mit fragendem Blick ein einsilbiges Wort zu, das in etwa wie „Tschöpp“ klingt. Auf mein: „I don´t understand“ überlegt er kurz, holt dann aus der offenen Fahrstuhltür eine gefüllte Mülltüte und wiederholt das unbekannte Wort. Ach so, er sammelt den Müll der Hausbewohner ein! Ich reiche ihm die Mülltüte aus der Küche und er nickt mir zufireden zu. Wieder ein neues Wort gelernt... Als größte Aktion des weiteren Tages ist nur noch ein leckerer Gemüseauflauf zu vermelden, den ich gegen Abend fabriziere. Aysun freut sich über die warme Mahlzeit, als sie nach einem langen Tag in ihrer Zahnarztpraxis nach Hause kommt.
Dienstag, 17.05. Istanbul
Auf ins Abenteuer Hafen! Früh klingelte der Wecker, um acht gingen wir aus dem Haus. Zur Metrostation sind es etwa 15 Minuten Weg, etwa genauso lange brauchte die moderne U-Bahn bis zur Umsteigestation, wo wir nun den Metrobus suchen sollten (mal wieder hat Aysun uns genaue Anweisungen mit auf den Weg gegeben). Vorher brauchten wir aber noch eine Handykarte für evtl Telefonate aus dem Hafen. Die fanden wir bei einem Turkcell-Laden, kostete 28 Lira, wovon nur 5 Lira Telefonguthaben waren. Ganz schön teuer! Weiter also mit dem Metrobus, einem langen Gelenkbus, der auf einer eigenen, abgezäunten Spur über die Stadtautobahn fährt und damit wesentlich schneller ist, als der Autoverkehr, der sich morgens und abends gewaltig aufstaut. Wo die Metrobus-Linie endet, nach etwa einer Dreiviertelstunde Fahrt, nahmen wir mangels weiterer Busmöglichkeiten ein Taxi, das uns direkt ins Hafengelände brachte. Beim Zollgebäude stiegen wir aus und spazierten hoffnungsvoll hinein, mal schnell unsere Bikes auslösen... An der Pforte wurden wir abgefangen, der Pförtner warf einen Blick auf unsere Papiere und schickte uns dann zu einem Lagerhaus in der Nähe. Dort hielt uns ein Sicherheitsbeamter an, schaute ebenfalls in die Papiere und wies die Straße hinunter zu einem anderen Eingang, wo wir im Lärm der ständig herumkurvenden Containerlaster einen Dritten mit unseren Dokumenten beglückten. Keiner der bisher angesprochenen Herren verstand auch nur ein kleines bißchen Englisch, das konnte auch die freundlichste Hilfsbereitschaft nicht wettmachen. Nach einer halben Stunde hatten wir uns immerhin zum richtigen Lager durchgefragt und bekamen vom dortigen Büroangestellten einen Stuhl im Bürocontainer und einen Pappbecher Pfefferminztee angeboten. Da auch er kein Englisch konnte, musste er mehrfach bei seiner Kollegin aus der Agentur, die uns gestern die Papiere ausgestellt hatte, anrufen, damit sie mir telefonisch seine Fragen und Sorgen übersetzen würde. Am Ende aller Telefonate stand die bittere Erkenntnis, dass wir nun doch einen Zollbroker bezahlen müssen, weil die Prozedur hier im Hafen zu kompliziert ist, als dass wir sie, wegen der unüberwindbaren Sprachhürde, selbst abarbeiten könnten.. Nach langem Hin und Her wurde also der Zollbroker angerufen und es tauchten nach einer Weile zwei junge Männer auf, die sofort unsere sorgfältig sortierten Papiere auf den Schreibtischen verteilten, Daten in einen Computer eingaben, dabei ständig diskutierten und immer wieder von uns auf Türkisch zusätzliche Informationen anforderten. Dann hatten sie offenbar alles Nötige beisammen und wir wurden darüber informiert, dass nun erstmal Mittagspause sei. Sie winkten uns mit sich in ein Auto, wir fuhren gemeinsam zurück zum Zollgebäude, in dessen Erdgeschoss eine Kantine die Hafenangestellten mit Mittagessen versorgt. Dort bekamen wir was zu trinken und wurden sozusagen geparkt, während unsere Begleiter nach einer schnellen Mahlzeit mit unseren Papieren verschwanden. „You wait“ war immerhin fast schon eine brauchbare Information. Etwa eine Stunde später wurden wir wieder abgeholt und trotteten hinter unserem Broker durch das Zollgebäude zu einem Schalter, hinter dem eine Dame mit unserer Sache beschäftigt war. Eigentlich brauchte man dort von uns nur Infos zu den Kennzeichen, dann waren wir erstmal wieder überflüssig und wurden in eine weitere Warteschleife geschickt. Diesmal saßen wir in einer stickigen Cafeteria und wir saßen lange dort. Etwa zweieinhalb Stunden vergingen, in denen wir nichts über den Fortgang unserer Angelegenheit erfuhren und uns mit einem weiteren Zollagenten unterhielten, der ebenfalls auf irgendwelchen Papierkram wartete und die Zeit nutzen wollte, um sein Englisch aufzubürsten. Ja, er konnte tatsächlich ein halbwegs verständliches Englisch sprechen und war auch sonst recht interessiert an Dingen jenseits seines Tellerrandes. So verging die Zeit, wir wurden allmählich müde und hungrig, nichts passierte.. Dann, um Viertel vor Fünf und damit kurz vor Feierabend im Hafen, kam „unser“ Mann wieder, stopfte uns in ein Auto und brachte uns wieder zum Lagerhaus, wo wir nun tatsächlich hinein geführt wurden und zu unseren Bikes! Da standen sie wahrhaftig, auf den Paletten festgeschnallt, wie wir sie in Melbourne zuletzt gesehen hatten! Die Kisten waren schon abgenommen, man hatte also die Zoll-Inspektion schon ohne uns gemacht. Etliche neue Leute standen um die Moppeds herum, offensichtlich die Lagermannschaft, man diskutierte wieder eifrig über irgendwas, während wir unsere Weggefährten der letzten Jahre genau ins Auge fassten. Alles noch dran? Wieder drückte mir jemand ein Mobiltelefon in die Hand: die Agentin war dran und hatte mal wieder einen Übersetzungsjob zu tun. Da es nun Feierabendszeit sei, müssten wir entweder morgen wiederkommen oder 200 Lira Überstundengeld zusätzlich zahlen! Darum also die besorgten Gesichter um uns herum: die Jungs wollten Feierabend machen! Es blieb uns nichts anderes übrig, als den Rest der Prozedur zu verschieben und uns damit zufrieden zu geben, dass wir sie wohl morgen abholen können. Der Büromensch aus dem Lager bot uns freundlicherweise an, uns mit dem Auto mit nach Maslak zu nehmen, wo er sowieso hinfahren musste. So sparten wir uns jedenfalls das Taxi... Nachdem es den Tag über wieder richtig warm gewesen war, zog sich der Himmel gegen Abend zu, es wurde richtig kalt. Für morgen ist Regen angesagt. Wahrscheinlich fahren wir dann morgen nachmittag im strömenden Regen über die Stadtautobahn zu Aysun zurück... Nie wieder Verschiffen!! Auf dem Nachhauseweg mein ganz persönliches Highlight des Tages: eine Bachstelze flog an uns vorbei und landete in der Nähe! Was daran so Besonderes ist? Ich habe schon seit vier Jahren keine Bachstelze mehr gesehen und freute mich sehr über dieses Treffen!
Mittwoch, 18.05. Istanbul
Der zweite Hafentag fängt wieder früh an. Um acht Uhr saßen wir schon in der morgendlich überfüllten Metro. Für den Weg, der normalerweise etwa 15 Minuten dauert, brauchten wir heute etwa eine halbe Stunde länger, weil die Bahn scheinbar ein technisches Problem hattte und zweimal für eine Viertelstunde auf einem Bahnhof stehenblieb. Eine freundlich beruhigende Frauenstimme bedankte sich auf türkisch für das Verständnis der Fahrgäste für die Verzögerung. Ich vermute, die Ansage hatte etwa diesen Inhalt, denn es ging ein nervöses Stöhnen durch die dicht zusammengedrängt stehende Menschenmasse. Routiniert wechselten wir dann von der Metro zum Metrobus. Auf dem langen Weg durch die Vorstädte sahen wir irgendwo zwischen den unüberschaubar vielen, schmucklos hässlichen Betonwohnburgen der Riesenstadt ein mehrere Kilometer langes Stück einer alten, im Zerfall befindlichen Stadtmauer mit dicken Türmen. An der Endstation stiegen wir vom Metrobus in einen Minibus, in den uns ein freundlicher Einweiser stopfte. Leider hatte er wohl nicht richtig hingehört, denn der Minibus fuhr nicht zum Hafen. Also mussten wir doch noch ein Taxi nehmen, waren aber trotzdem recht pünktlich an Ort und Stelle. Suat, unser aktueller Zollhelfer, kam ein paar Minuten später zum Treffpunkt, dem Cafe in dem wir schon viele Stunden des gestrigen Tages verbracht haben und wo wir uns schon fast wie zuhause fühlen, nahm uns wieder Pässe und Fahrzeugpapiere ab und verschwand nur schnell zum Abschluss des Papierkrieges. Wir wurden mit dem Hinweis: “One quarter...“ (..of an hour) geparkt... Als die Stunden vergingen, ohne dass wir ihn wiedersahen, um uns herum die Bediensteten des Hafens zum Mittagessen kamen und wieder gingen und der letzte Arbeitstag vor einem langen Wochenende verstrich, wurden unsere Nerven allmählich dünner. Irgendwann hatte Thomas genug von der Warterei und ging los zum Lagerhaus, um die Zeit zu nutzen und mit dem Zusammenbau der Bikes anzufangen. Ich blieb sitzen und hielt die Stellung. Zehn Minuten später kam Suat und brauchte wieder mal andere Papiere von uns für die Prozedur. Thomas hatte seine Dokumente bei sich und wurde telefonisch von der gerade begonnenen Arbeit zurückgepfiffen. Suat nahm das wichtige Papier entgegen und ...verschwand wieder:“ Five minutes!“ Wir warteten eine weitere Stunde, dann ging Thomas wieder zum Lager. Inzwischen hatte Aysun sich schon mehrfach besorgt bei uns nach dem Stand der Dinge erkundigt und auch Suat schon angerufen, damit er ihr erkläre, warum es so lange dauerte. Er warte auf eine wichtige Unterschrift und der Offizielle sei nicht in seinem Zimmer, hieß es. Noch eine Stunde bis zur Schließung des Büroapparates und auch des Lagerhauses! Um Viertel nach Vier dann endlich die erlösende Nachricht: „ Finished!“. Ich wurde aus meiner Warteschleife befreit und durfte mit Suat zum Lager fahren, wo Thomas an seinem Motorrad werkelte. Nun wurde abgerechnet, außer den verabredeten 500 Lira für den Zollbroker mussten wir noch, nach zähen Verhandlungen, 300 Lira Lagerkosten zahlen, womit sich die Hafenkosten in Istanbul nun auf fast 2000 Lira oder auch 1000 Euro beliefen. Die gesamten Verschiffungskosten stiegen damit um mehr als das Doppelte. Wenn wir das geahnt hätten!! Mit dem Abschluss des Papierkrieges war für uns aber noch längst nicht alles erledigt, denn noch standen die Motorräder auf den Paletten und mussten fahrbereit gemacht werden. Schnell bauten wir die Vorderräder ein, um jedenfalls aus dem Lagerhaus hinausrollen zu können, denn es war nun Feierabendzeit und wir mussten draußen weiterschrauben. Inzwischen war ein Freund von Aysun, Umut, auf seiner BMW 1200 GS angefahren gekommen, um uns durch die Stadt zu geleiten. Er versuchte nun, uns behilflich zu sein und fuhr los, Benzin zu kaufen, denn wir hatten ja in Melbourne die Tanks entleeren müssen. Wir rollten die Bikes in eine freie Ecke des Hafengeländes, schleppten all unseren Kram dorthin und schraubten weiter. Um uns herum standen ständig einige Hafenarbeiter und schauten uns amüsiert zu, während dröhnende Container-LKWs und Containerhubwagen in wenigen Metern Entfernung ihrer Arbeit nachgingen. Sicherheit am Arbeitsplatz ist hier scheinbar kein Thema... Eine Stunde später sahen Jolly und Foster wieder aus, wie gewohnt. Nun mussten wir sie nur noch zum Laufen bringen. Die Batterien hatten beide etwas gelitten auf der Reise, aber Foster sprang mit frischem Benzin bergabrollend schnell an. Jolly tat sich schwer. Weder mit Überbrückung von Foster noch mit der langen Rampe bergab wollte der Motor starten. Schließlich boten die hilfsbereiten Hafenarbeiter eine Überbrückung mit einer größeren Batterie an. Nun drehte der Motor gut durch und sprang schließlich, mit allgemeinem Gejohle gefeiert, an. Helme auf, Jacken an und ab in den Feierabendverkehr der 20-Millionen-Metropole. Umut fuhr vor uns her, jede Lücke auf dem verstopften Highway nutzend. Meist fuhren wir rechts an den Autos vorbei, machten uns mit Hupe und Lichthupe bemerkbar und alle machten ein bisschen Platz. Es war inzwischen etwa 19 Uhr und wir waren endlich frei! Es könnte alles noch viel schlimmer kommen! Es kam schlimmer: Jollys Vergaser fing an, überzulaufen, der Motor stotterte und wollte ausgehen, nur mit viel Gas konnte ich ihn am Leben erhalten. Anhalten konnten wir hier nirgendwo. Der Autoverkehr forderte volle Aufmerksamkeit, es fing auch noch an zu regnen... Ich wurde das Gefühl nicht los, hier fand von höherer Stelle ein Belastungstest statt. Irgendwo stoppten wir am Straßenrand, Thomas klopfte mit seinem Taschenmesser gegen den Vergaser, um die Schwimmernadel zu lösen, ich drehte schnell noch ein paar vergessene Schrauben fest und weiter fuhren wir. Istanbul ist riesig! Wir fuhren und fuhren. Es wurde dunkel, wir waren immer noch unterwegs, folgten nur Umuts Rücklicht. Als er schließlich vor einem Bistro stoppte, wo er uns nach all seiner Fürsorge auch noch zum Essen einlud, war es schon nach 21 Uhr. Was für ein Tag! Wir saßen unter einer Heizsonne draußen, vor uns waren unsere Motorräder geparkt, wir bekamen was zu Futtern und als schließlich Aysun noch dazukam, war beinahe alles wieder gut.
Donnerstag, 19.05. Kumbag
Aysun hat wegen des erwähnten Feiertages vier Tage frei, die sie mit einer Freundin an der Küste verbringen will. Wir haben die gleiche Richtung und starten morgens mit ihr und ihrer BMW F 650 gemeinsam gen Westen. Wir treffen ihre Freundin, ebenfalls auf BMW, an einer Tankstelle, wo Aysun nach dem Auffüllen ihres Tankes feststellen muss, dass unter ihrer Sitzbank der Sprit irgendwo ausläuft. Sie ruft einen Mechaniker-Freund an, beschreibt ihm das Problem und er kommt nach ein paar Minuten mit einem gebrauchten Ersatzteil angefahren. Nach eineinhalb Stunden ist das Problem gelöst, wir können weiterfahren. Heute ist die Stadt wegen des Feiertages nicht ganz so voll, wir kommen recht gut über die Straße. Nach 60 km lichtet sich die Bebauung endlich, die ersten Felder sind zu sehen, der Abgasmief lässt nach. Stattdessen umschmeichelt nun der Duft von blühendem Raps unsere Nasen, genussvoll schnuppern wir die laue Luft. Am Straßenrand leuchtend roter Klatschmohn, ein schöner Kontrast zum gelben Raps. Ach ja, das ist das Reisen, wie wir es mögen! Nach 150 gemeinsamen Kilometern trennen sich unsere Wege: Aysun und Pinar fahren weiter geradeaus, wir biegen ab, um uns an der Küste irgendwo ein Schlafplätzchen zu suchen. Durch ein paar kleine Ferienorte hindurch, dann kommen wir auf eine Schotterpiste, die in einen sehr schönen, bergigen Küstenabschnitt führt. Leider hat es geregnet und der feine Lehm der Piste hat sich mit dem Regen zu einer äußerst schmierigen Masse verbunden. Die Moppeds rutschen und wir kommen nur noch im Schritttempo voran. Wir beschließen, umzukehren. Finden dann aber an einem Seitenweg einen Zugang zu einem Waldstück, wo wir hoch über dem Meer zelten können. Es ist ruhig hier, keine Autos, dafür singt eine Amsel im Abendsonnenschein, Buchfinken trällern, Meisen rufen "zizipeh". Musik in meinen Ohren!
Europa Mai 2011 (Weltreise Tagebuch 138) nächstes Tagebuch
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