Reiseberichte


Europa
 
Europa Mai - Juni 2011 (Weltreise Tagebuch 140) nächstes Tagebuch
Freitag, 27.05. Drepano
In einer etwas längeren Regenpause fuhren wir zum Moppedladen, um unsere Reifen abzuholen. Die Reifen lagen tatsächlich bereit, aber der Chef war nicht da und darum mussten wir erstmal warten. Etwa 20 Minuten gingen vorbei, dann kam der unersetzliche Mann, um zu kassieren. Es stellte sich heraus, dass er mehr Geld haben wollte, als uns am Telefon gesagt worden war. Thomas blieb hart und wir fuhren mit unserer Beute zurück nach Drepano. Kaum hatten wir mit der Reifenmontage angefangen, zog sich der Himmel wieder zu, es grummelte erst in der Ferne und bald schüttete esbeinahe tropisch-heftig. Schnell das Werkzeug gesichert und unter ein schützendes Dach verkrochen. Ich landete im Wohnmobil. Dort saß ich und schaute hinaus in das Inferno. Es blitzte, krachte, blitzte und krachte, Sturzfluten prasselten aufs Autodach. Sicher eine Stunde lang fand ich keine Gelegenheit, den Ort zu wechseln. Dann ließ das Unwetter allmählich nach. Das Zelt war vom Regenwasser unterspült worden und der Boden war komplett nass... Unzählige kleine Weinbergschnecken saßen in allen Nähten, zwischen Innenzelt und Außenhaut und manche krochen sogar an den Motorrädern hoch! Vor der Dunkelheit wurde die Arbeit an den Motorrädern nun nicht mehr fertig, macht nix. Bis spät abends noch rummelte es in den Bergen.
Sonnabend, 28.05. Drepano
Ein sonniger Morgen, wie schön! Nach dem Frühstück, das uns hier immer so nett zubereitet wird, bekam Jolly als Letztes noch seinen Hinterreifen, nun können unsere Bikes frisch besohlt nach Hause laufen! Nach der Drecksarbeit ein erfrischendes Bad im glasklaren Meer. Die oberen 30 cm sind erträglich warm, darunter ist es noch ziemlich kalt! Ich schaue durch meine Schwimmbrille den kleinen Fischen zu, bis die Zähne klappern. Dann schnell raus und im sonnenwarmen Kies wieder auf Temperatur kommen, in jeder Hand einen warmen runden Stein. Urlaub! Später spazieren wir in den Ort Drepano hinein und laufen durch die kleinen Gassen, in denen malerische alte Häuser in der spät nachmittäglichen Sonne leuchten. Weinranken überwuchern so manches Dach, Bougainvillea, Glyzinien, weiße Lilien und duftende Rosen in den kleinen Gärtchen. Eine schwarzgekleidete alte Frau sitzt im Schatten, neben ihr liegt eine Katze, entspannt genießen beide den Moment. Viele Fotomotive erregen unsere Aufmerksamkeit, während wir durch den Ort schlendern. Von etwas erhöhter Warte schauen wir über ausgedehnte Apfelsinenfelder: dunkelgrünes Laub, durch das zahlreiche orangefarbene Früchte hervorlugen. Etwas weiter im Hintergrund hellgrüne Reihen junger Weinreben an den Hügeln, in der Ferne die kahlen Berge. Auf dem Rückweg werfen wir noch einen kurzen Blick in die kleine Kirche, in der es golden prangt. Von der bemalten Holzdecke schauen die Heiligen ernst auf die Welt der Menschen herab. Abends zeigen wir unseren Gastgebern Bilder von den Familienmitgliedern in Australien. Thomas' Vater ist gerührt über die lustigen Fotos von seinem ersten Urenkel.
Sonntag, 29.05. nahe Patras
Heute brechen wir wieder auf und machen uns nun wirklich auf den Weg Richtung Deutschland. Kein größerer Umweg steht nun mehr auf unserem Plan... Beim Zeltverpacken haben wir mit der tierischen Besetzung zu kämpfen! Die Weinbergschnecken haben sich an jeder nur denkbaren Stelle häuslich niedergelassen und müssen einzeln abgepflückt werden. Hunderte von ihnen landen nach kurzem Flug in den Büschen: kommt bloß nicht zurück! Um elf sind wir trotzdem fertig und verabschieden uns. Hinter uns bleiben die beiden alten Leute winkend zurück, wir fahren nach Norden. Die kleinen, auf der Straßenkarte gelben Straßen führen schön verwunden durch die Berge, aber hier ist es sehr schwer, sich zurechtzufinden, weil die Beschilderung eher zufällig ist und wir landen nie da, wo wir hinwollen. Schließlich fahren wir nur noch nach Kompass und versuchen nicht mehr, jedes kleine Dorf auf der Karte zu finden. Dabei umrunden wir ein dickes Unwettergebiet, das zwischen den Bergen festhängt. Wir bleiben erstmal trocken. Nach 100 gefahrenen Kilometern erreichen wir die Nordküste der Peloponnes und entscheiden uns hier zugunsten der kleinen Küstenstraße und gegen die Autobahn. Eine gute Entscheidung, wie sich zeigt, denn wir fahren durch viele kleine Fischer- und Badeorte, wo heute am Sonntag nicht sehr viel Verkehr ist. Meistens führt die Straße direkt am Meer entlang, links von uns schöne alte Häuser und im Hintergrund erheben sich steil die Berge. Ein zweites Regengebiet hängt über dem Wasser, wir kommen wieder fast ungeschoren davon. Erst kurz vor Patras, auf einem unangenehmen Stück Autobahn (es gibt hier keine Alternative mehr und die Autofahrer drängeln sehr!) holt uns der Regen ein, doch es bleibt bei leichtem Niederschlag, als wir uns der großen Rio Antirrio-Brücke nähern, die uns auf das griechische Festland bringen könnte. Aber wir haben die Nase voll von der Autobahn und fahren lieber mit der Fähre, die am Hafen eben ihr großes Maul geöffnet hat. Für nur einen Euro pro Motorrad dürfen wir mit über das glatte dunkelblaue Wasser fahren und können die elegant geschwungene, mit vielen Drahtseilen an vier hohen Pylonen aufgehängte Brücke von der Seite bewundern. Es nieselt sich derweil ein und wir haben nicht mehr viel Lust zum Weiterfahren, als sich auf der anderen Seite die Autos in griechischer Manier von der Fähre herunterdrängeln (normalerweise gibt es auf Fähren doch immer jemanden, der die Autoreihen nacheinander vom Schiff dirigiert - hier nicht: es stürzen alle gleichzeitig auf die schmale Luke zu und blockieren sich schimpfend gegenseitig! Merken die denn nicht, wie ineffektiv das ist?) Nun fahren wir aufs Geratewohl in eine kleine Straße hinein, landen in einem friedlichen Olivenhain. Unter den alten, knorrigen Baumgesellen blüht es bunt. Im weichen Lehmboden sinkt Fosters Seitenständer ein, er legt sich gemächlich auf die Seite und muss wieder hochgewuchtet werden. Haben wir ja Übung drin... Ruckzuck steht das Zelt im nassen Kraut, Tarp drüber, Sachen rein, Feierabend.
Montag, 30.05. Koimesis
Im Schutz der Olivenbäume schliefen wir gut und wachten bei Sonnenschein wieder auf. Da wir beide von dem Stress der vielbefahrenen Straßen die Nase voll haben, suchten wir uns eine ruhige Bergstraße, auf der wir durch schroffes, karges Gebirge Richtung Thermo fuhren, dann an einem großen See entlang nach Pappadates und nördlich nach Agrinio. Dort war es mit der Ruhe auf der Strecke wieder vorbei, da wir uns auf der verkehrstechnischen Hauptachse nach Arta und Ioannina befanden. Wieder drängelten ungeduldige Autofahrer hinter uns, wenn sie nicht sofort überholen konnten. Am Straßenrand standen Schilder, die von Höchstgeschwindigkeit 50 km/h und Überholverbot erzählten, ich wurde dort bei Tempo 80 (!) mit Lichthupe aufgefordert, doch gefälligst mal Platz zu machen! Ja, sind die denn alle wahnsinnig hier? Genervt beratschlagten wir in Amfilochia, einer schön gelegenen Stadt am Wasser, in der wir Mittagspause machten, wie wir dem automobilen Wahnsinn entgehen könnten und beschlossen, mal wieder eine kleine "gelbe" Straße zu testen. Über den Bergen, in die wir nun fuhren, braute sich schon wieder eine Wetterfront zusammen, der wir vorläufig entgehen konnten. Doch nach 14 km war mit der schönen schmalen Kurvenstraße in einem kleinen Bergdorf einfach Schluss. Es boten sich dort mehrere steinige Pisten zur Auswahl an, aber wir konnten auf der Karte nicht verifizieren, wo sie hinführten. Inzwischen hatte uns das Wetter eingeholt, ein kräftiger Gewitterschauer prasselte auf die Erde. Wir stellten uns unter das Vordach eines Kirchleins und beschlossen, nach dem Regen die Strecke zurückzufahren. Machte nichts, sie war auch auf dem Rückweg noch schön, aber nun waren wir wieder auf der Nationalstraße und mussten uns auf den Rückspiegel konzentrieren, um nicht jedes Mal zu erschrecken, wenn wieder ein Irrer mit geschätzten 20 cm Seitenabstand trotz Gegenverkehrs überholte und direkt vor uns einscherte (manchmal, um 30 Meter weiter abzubiegen...) Bei der Stadt Arta ein Stück vierspuriger Autobahn... und wieder Regen. Für heute hatten wir genug. In Filipiada bogen wir von der Hauptstraße ab und stellten fest, dass es dort in den landwirtschaftlich genutzten Flächen keine Möglichkeit zum Zelten gab. Viele Schotterwege, aber kein Versteck für uns. Doch dann fanden wir den Hinweis auf eine alte Burg und eine Kirche in einer antiken Akropolis (Hochstadt) abseits der Straße. Dort wohnen wir nun für heute nacht unter einer großen Platane. In einer Viehtränke ist frisches Wasser und der Blick geht über ein Tal nach Westen. Nacheinander stiegen wir den alten gepflasterten Weg zur Akropolis hinauf, auf dem Hunderte von farbigen Heuschrecken davonhüpften. Von der Stadt sieht man noch Reste der sicher 5 m hohen Einfriedungsmauer. Als ich weiter empor stieg, kam ich zu einem schmucklosen langschiffigen Bau mit einer nur etwa 1.5 m hohen, offenstehenden Holztür. Vorsichtig trat ich ein und, sah, als sich meine Augen angepasst hatten, dass ich mich im halbdunklen Vorraum einer Kirche befand. Durch eine zweite kleine Rundbogentür erreichte ich den höhlenartigen Kirchenraum, dessen Wände und Decke komplett mit Heiligenbildern bemalt waren. Licht kam nur durch einige sehr kleine Fenster hoch in den dicken Steinwänden. Ein Stehpult mit einer stockfleckigen Bibel, ein paar wackelige Stühle, aber goldene Kerzenleuchter. Als ich blinzelnd wieder ins Tageslicht kam, bahnte ich mir einen Weg durch die hohen Disteln zu einem zweiten Gebäude, das einstmals offenbar ein herrschaftliches Haus war. Das Dach fehlt, aber die Wände des zweistöckigen Gebäudes stehen noch, durch die Rundbogenfenster hatten die Bewohner einen guten Überblick über das Tal. Zwei große Kamine sind noch zu erkennen, hier lebte es sich recht gut! Als ich durch die Ruinen streifte, hörte ich neben mir ein raschelndes Schleifen: eine etwa 80 cm lange grünliche Schlange fühlte sich von mir gestört und verschwand durch ein Loch in der alten Mauer.. Später, inzwischen hat sich Thomas auf den Weg zur antiken Stadt gemacht, kam eine Schafherde an unserem Zelt vorbei gebimmelt. Ein Hirte im Auto begleitete sie, einige Schafe lahmten und konnten nur mühsam mit der Herde Schritt halten. Die Luft war sehr still, dunkle Wolken zogen langsam vorbei. Ob wir noch mehr Regen bekommen?
Dienstag, 31.05. in Albanien angekommen
Der Regen machte brav einen Bogen um uns. Ein paar Donnerschläge, dann war für den Rest der Nacht Ruhe. Um unseren letzten Griechenlandtag zu genießen, machten wir einen großen Bogen um alle Hauptstraßen und schlängelten uns lieber auf schmalen Teerbändern an den Hängen einer nord-südlich verlaufenden Bergkette entlang. Das war richtig schön! Der Traum jedes Bikers: auf nahezu autofreien Serpentinen durch den Sonnenschein gondeln und hinter jeder Kurve eine neue Welt entdecken! Da wir das Lesen der Ortsnamen fast aufgegeben haben, fahren wir nur noch nach Sonne und Kompass - grobe Richtung Norden - und entschieden an jeder Kreuzung neu. Richtung Lippa wurde die erst gutausgebaute Straße immer schmaler, an manchen Stellen war der Teer ausgewaschen oder den Abhang hinuntergerutscht, die wenigen Menschen, die wir trafen, schauten uns fast ungläubig hinterher... alles Indizien dafür, dass wir uns auf keiner Durchfahrtstraße mehr befanden. Aber noch waren wir uns nicht sicher und fuhren weiter. Irgendwann ging der Teer in Beton über, der Beton in Schotter. In engen Windungen den Berg hinab bis zu einem Fluss, der noch vor gar nicht langer Zeit ausschließlich durch eine wackelige Holzbrücke überquert wurde. Inzwischen gibt es immerhin eine schmale Betonbrücke, zu der die Piste führt. Ich wäre hier schon umgekehrt, aber Thomas wollte es genau wissen und wir fuhren weiter, nun wieder steil bergauf. Als wir nach einer Unmenge von Spitzkehren schließlich in Lippa ankamen, begegneten uns zwei alte Männer, die anerkennend den Daumen hoben und lachten. Nach der Karte sollte es eigentlich eine Verbindung nach Norden geben, aber die gab es nicht. DIe Straße hörte einfach auf! Also alles wieder zurück - nach gebührender Beachtung des fabelhaften Ausblickes, den die wenigen alten Leute, die hier noch wohnen, jeden Tag genießen dürfen. Bald danach kamen wir an die Autobahn nach Igoumenitsa, auf der wir schnell und ungestört nach Westen huschen konnten. Nur wenig Verkehr war auf der nagelneuen, europageförderten Bahn mit vielen langen Tunneln und riesigen Talbrücken und es fuhr sich angenehm. Ein heftiger Regenschauer überraschte uns hier. Zu plötzlich, um sich regenfest anzuziehen, aber da die Wolken hier in den Bergen oft sehr lokal sind, war er auch schnell wieder vorbei und die Jacken trockneten wieder. Um nach Albanien zu kommen, wollten wir einen kleinen Grenzübergang nutzen, der, über kleine Straßen nach Fliates und weiter nach Sagiada zu erreichen, direkt an der Küste liegt. Hier hatten die Berge wieder einen anderen Charakter: kaum Bäume, dafür wuchsen dürres Gras und viele Ginsterbüsche auf den steilen Hängen. Filiates ist eine kleine Bergstadt mit einem gemütlichen Flair, das wir für eine sonige Müslipause auf dem Dorfplatz nutzten. Die Milch dafür hatte ich vorher in einem kleinen Supermarkt eingekauft, dessen Besitzerin gut deutsch sprach. Sie hat früher in Stuttgart gelebt... Als wir weiterfuhren, hing schon wieder eine schwarze Wolke vor uns am Himmel, aber irgendwie haben es die Griechen die Fähigkeit, ihre Straßen um die Gewitterwolken drumherum zu bauen: wieder kamen wir trocken davon, während es im Nachbartal regnete. Um fünf Uhr nachmittags hatten wir die Grenzstation erreicht und wurden mit einem kurzen Blick in den Pass aus Griechenland ausgecheckt. Die Albaner tippten immerhin unsere Namen und Passnummern in einen Rechner ein und stempelten die Pässe, aber nach fünf Minuten waren auch sie mit uns durch. Während ich noch wartete, bekam ich einen lautstarken Streit unter den Zöllnern mit. Der am lautesten geschrien hatte, ein kleiner, oberwichtiger Mann in Uniform, kam danach bei mir vorbeigeschlendert, warf sich in die Brust und stellte sich stolz als "Chief of Station" vor. Typischer Fall von Kompensation der fehlenden Körpergröße, auch "Kleiner Mann-Syndrom" genannt, würde ich mal sagen.. Und schon waren wir in Albanien, fuhren auf einer breiten, neuen Teerstraße durch ein unbewohntes und auch sonst irgendwie sehr leeres breites Flusstal mit imposant hohen, kahlen Bergen auf beiden Seiten. Wow, ich hatte mir Albanien ganz anders vorgestellt, irgendwie viel schrottiger und ärmlicher! Eine halbe Stunde später verkrümelten wir uns wieder mal in eine Olivenwiese, wo wir ungestört zwischen den bunten Blumen zelten konnten. Sehr schön!
Mittwoch, 01.06. Golem
Nach den ersten 20 km Fahrt des Tages hatten wir unseren gestrigen Eindruck von diesem Land komplett über den Haufen geworfen: aus dem guten Teer wurde ohne Vorankündigung eine staubige Piste mit Schlaglöchern so groß, dass man ein ausgewachsenes Schwein darin hätte verstecken können! In die Küstenstadt Saranda, unserem Debüt in Sachen albanischer Städte, wälzte sich der gesamte Schwerverkehr über eine sehr holperige Piste bergauf. Der gesamte Verkehr, der hier hauptsächlich aus alten, in Mitteleuropa ausgemusterten Dieselmercedessen besteht, staute sich, jeder versuchte, irgendwie am Vordermann vorbeizukommen. Es staubte und stank gewaltig nach Abgasen! Dann, überraschend, ging die Piste in eine glatte vierspurige Straße über, die sich ebenso überraschend im Häusermeer der dicht bebauten Stadt wieder verlor. In der völlig verstopften Innenstadt suchten wir einen Bankautomaten, um uns mit ein paar Albanischen Lek zu versorgen. Stress pur! Bei der zweiten Runde durch das Chaos fanden wir schließlich eine Bank mit Geldautomat. Kaum hielten wir an, stürzten sich ein paar Kinder mit erhobenen Handflächen auf uns und bettelten mit mitleidheischendem Blick "One Euro!" Während Thomas die Scheine aus der Wand zog, die wir für die nötige Tankung brauchten, amüsierte ich mich mit der Kinderbande, die viel Spaß mit meiner Ballonhupe und dem kleinen Stofftier hatten, das in meinem Cockpit sitzt, aber sich zwischendurch immer mal wieder daran erinnerten, dass sie ja eigentlich betteln sollten. Eine etwa 35jährige Frau mit Kleinkind auf dem Arm (die Mutter der Kinder?) beobachtete das Geschehen kommentarlos, aber sehr genau. Wollte sie kontrollieren, ob die Kinder Geld bekamen, um es dann einzustecken? Thomas kam zurück, wir verabschiedeten uns freundlich von den Kids und fuhren weiter. Der Sprit kostet um die 170 Lek/Liter, 140 Lek entsprechen einem Euro. Gar nicht mehr so billig, wie das Internet behauptet hatte... In kleinen Lädchen, größere fanden wir gar nicht, deckten wir uns mit dem Nötigsten ein und wollten dann, nachdem wir noch eine Bekanntschaft mit einer Gruppe Kids gemacht hatten, die nicht bettelten, sondern nur schauen und wissen wollten, nördlich aus der Stadt flüchten. Doch das wurde nichts: wir landeten in ärmlichen Wohngebieten, wo massenweise neue Wohnblocks offenbar im Rohbau steckengeblieben sind und z.B. ein alter Mann mit seinem Esel am Straßenrand stand, aber raus kamen wir nicht. Nach langem Suchen in den hinweisschilderlosen Straßen der Stadt fanden wir schließlich heraus, dass die Stadt nur einen Ausgang hat. Bloß weg hier und Richtung Norden weiter. Weiterhin gab´s keine Schilder, darum folgten wir der Himmelsrichtung und waren prompt verkehrt. Was wir nach 13 Kilometern merkten, in einer belebten Stadt in den Bergen, wo die Straße zuende war! Neben der Straße alte Fabrikhallen mit leeren Fensterhöhlen, große Betonbauten im Rohbau (arbeitet daran noch jemand?) und immer wieder die runden betonierten Dächer von alten Gefechtsstationen, die aus den Hügeln Richtung Süden schauen - wie die Köpfe behelmter Riesen, die man bis zu den Augen eingegraben hat. Schaurig! Albanien hat sich noch lange nicht von seiner Vergangenheit unter Enver Hoxha erholt! Wenn man bedenkt, dass bis 1990 der private Besitz von PKWs verboten war, Albaniens gesamtes Straßennetz bis vor Kurzem nur etwa 7000 km Straße umfasste und nur 447 km Eisenbahnlinien existieren! Die erste richtige Autobahn entstand in den letzten Jahren zwischen Durres und dem Kosovo. Bis heute sind Ausfälle in der Strom- und Wasserversorgung die Regel, viele Orte sind nur über abenteuerliche Erdpisten erreichbar. Das mag ein Grund dafür sein, dass viele Menschen aus den abgelegenen Orten abwandern und Geisterstädte hinterlassen... Überhaupt hat nach dem Zusammenbruch des Ostblockes eine massive Abwanderung der Bevölkerung, hauptsächlich nach Griechenland und Italien, stattgefunden. Die bis dahin unter so ärmlichen Umständen eingesperrten Menschen suchten sich ein besseres Zuhause. In Griechenland haben die albanischen Arbeiter einen guten Ruf, da sie sich mehr anstrengen als griechische Arbeiter, wie uns erzählt wurde. Ob das so stimmt, vermag ich nicht zu beurteilen... Zum Thema Kriminalität sagt das Internet nur lakonisch: Verbreitet herrscht Gesetzlosigkeit; überall im Land sind Waffen erhältlich, seit Albanien 1997 in Anarchie stürzte. Vielerorts wird Haschisch angebaut.... Allmählich gewöhnen wir uns daran, dass wir uns ständig verfahren, drehten am Ende der Straße um und fuhren zurück bis nach Saranda, wo wir uns diesmal bei einer Straßenkontrolle vergewisserten, dass wir nun auf dem richtigen Weg waren. Über die hohen Berge kurbelte sich die Straße, zur Abwechslung aus recht gutem Teer, bis wir in der zentralen Ebene nahe der Stadt Girokastra auf die eigentliche (einzige) Nord-Südverbindungsstraße des Landes stießen. Eine breite, neue Straße mit vielen ebenfalls neuen Tankstellen rechts und links, na, das sah doch schon viel besser aus! Wir hielten bei einer Tankstelle an, um eine Straßenkarte zu kaufen. Wie, gibt es nicht?? Der Tankwart, der ein paar Worte Englisch sprach, nahm ein Stück Papier und malte eine geschlängelte Linie darauf. Daneben schrieb er die Namen einiger Städte und fertig war die Straßenkarte! Mit dieser umfassenden Information fuhren wir weiter, folgten der schönen neuen Straße durch das Tal und in die Berge hinauf. In den Orten war sie noch nicht fertig, dort holperten wir durch große Löcher und über hohe Kanten durch den ungeordneten Verkehr. Jeder fährt, wie er kann. Auf den nächsten 150 km wechselte der Straßenbelag und -zustand ständig zwischen richtig gut und kaum vorhanden. An kilometerlangen Baustellen wurde der Verkehr auf abenteuerliche Umwege geschickt, wo wir den langsam kriechenden LKW vor uns in der großen Staubwolke, die über der ganzen Straße hing, nur erahnen und an der stinkenden Abgaswolke riechen konnten, dann glitten wir wieder über neuen Teer, der einmal hinter einer Kuppe so plötzlich in staubige Schlaglochpiste überging, dass ich eine Vollbremsung machen musste, um nicht mit 70km/h in einem großen Loch zu landen. Es wurde nicht langweilig! Als ich gerade mal Zeit hatte, mich etwas umzuschauen, sah ich eine tiefdunkle, blaugraue Wolkenwand direkt vor uns stehen. Lange Regenschleier hingen heraus, in der Wolke blitzte es... Nicht auch das noch!! Aber, auch hier zulande werden die Straßen um die Wolken herumgebaut und wir hatten mal wieder Glück: während sich das Unwetter auf dem benachbarten Bergrücken austobte, schrammten wir knapp daran vorbei, blieben in der Sonne und atmeten auf. Bald wurde die Straße auch durchgängig etwas besser, wir konnten die grüne Hügellandschaft genießen. Dabei verpassten wir die Gelegenheit, uns hier einen Übernachtungsplatz zu suchen, denn bald kamen wir in die Ebene, in der die großen Städte Fier, Lushnja, Durres und die Hauptstadt Tirana liegen und hier war es so voll, dass an Wildcampen nicht mehr zu denken war. Im Feierabendverkehr kämpften wir uns weiter (auch hier wieder jede Menge Baustellen und andere Verkehrshindernisse, die für ausreichend Gefahrenpotential sorgten) und beschlossen irgendwann, dass wir wohl ein Hotelzimmer brauchen würden. Im Badeort Golem, kurz vor Durres, fanden wir Hotels in großen Mengen und da die Sommersaison offenbar noch nicht angefangen hat, wurden wir schnell fündig. Im ersten Haus, wo wir fragten, zeigte mir der angetrunkene Besitzer ein schönes sauberes Zimmer mit Balkon und Meerblick, Fernseher, Klimanalage und Kühlschrank für 20 Euro. Die Motorräder könnten im Hof stehen, der nachts verschlossen würde: "Kein Problem!" betonte er immer wieder. Wir hoffen, dass er recht hat! Vorsichtshalber nahmen wir unsere Koffer mit aufs Zimmer, dann ging ich im hier leider nicht besonders sauberen, aber angenehm temperierten Wasser der Adria baden. Da ich gestern über die Umweltverschmutzungsprobleme Albaniens gelesen hatte, behielt ich den Kopf dabei lieber über Wasser. Ein prall gefüllter Tag!!
Europa Mai - Juni 2011 (Weltreise Tagebuch 140) nächstes Tagebuch
copyright Globusbiker