Reiseberichte


Europa
 
Europa Juni 2011 (Weltreise Tagebuch 141) nächstes Tagebuch
Donnerstag, 02.06. Budva, Montenegro
Vor dem Losfahren ein nettes Gespräch mit unserem Hotelchef Timi, nun nüchtern, und seiner Frau Eva. Beide sehr interessiert und freundlich, wenn auch die Konversation etwas holperig funktionierte: er spricht ein kleines bisschen Deutsch, seine Frau drei Worte Englisch. Aber wozu haben wir Hände und Füße? Wir wurden uns schon einig und erfuhren doch immerhin ein paar grundlegende Dinge über einander. Dann verließen wir diese albanische Version eines Strandurlaubsortes und reihten uns wieder ein auf der abenteuerlichen Straße. Mit dem guten Vorsatz, uns heute nicht stressen zu lassen. Das klappte auch ganz gut: wir wussten nun, was uns erwartete und blieben defensiv und ruhig, während um uns herum der alltägliche Straßenkrieg tobte. In der Großstadt Durres mussten wir uns noch sehr konzentrieren, Richtung Shkodra ließ der Verkehr dann deutlich nach. Wenn man nach Shkodra kommt, grüßt als erstes eine alte Burg vom Hausberg der Stadt. Sehr eindrucksvoll und sicher auch einen absichtlichen Besuch wert. Wir Kulturbanausen schauten uns die Burg heute nur über unsere Müsliteller hinweg an und fuhren dann weiter. Über eine ganz neue Brücke querten wir die Drin, deren Uferwiesen im Stadtbereich eine einzige Müllhalde sind. Der Fluss riecht nach Kloake. Zwischen dem stinkenden Abfall stand ein Mann und hielt eine Angel ins Wasser.. Von hier waren es nur noch wenige Kilometer bis zur montenegrinischen Grenze, an der wir nur etwa fünf Minuten warteten und schon, auf einer schmalen, kurvigen Straße durch grüne landwirtschaftliche Hügel, weiterfahren durften. Schon wieder ein neues Land! Hier spricht man serbokroatisch, zahlt in Euro (!) und wartet auf die Aufnahme in die EU. Die Infrastruktur ist deutlich besser als in Albanien, durchgängig geteerte Straßen, neue, z.T. hochpreisige Autos, gepflegte Häuser und Gärten. Das kleine Land ist erst seit wenigen Jahren selbständig, nach der Trennung von Serbien und versucht nun, seinen eigenen Weg zu gehen. Wir folgten der Küstenstraße, die (zu Recht!) zu den schönsten Europas gezählt wird. In diesem Land fährt man in den Ortschaften langsam und hält häufig sogar am Zebrastreifen an! Das ist uns schon wieder ganz ungewohnt... So konnten wir recht entspannt fahren und uns die vielen kleinen Buchten der hiesigen Adriaküste während der Fahrt von oben anschauen. Bis Budva, einer sehr alten Stadt etwa in der Mitte der Küste Montenegros, wollten wir heue fahren, denn dort wohnt ein, persönlich noch unbekannter, "Facebook"-Freund, den wir treffen wollten. Er hatte mir seine Telefonnummer gemailt, schauen wir mal... Am späten Nachmittag erreichten wir Budva. Vor zwanzig Jahren noch ein kleiner, veschlafener Fischereiort, hat hier in den letzten Jahren die Tourismusbombe eingeschlagen. Es begann mit einigen russischen Neureichen, die unbedingt hier ein Grundstück haben wollten, dafür jeden Fantasiepreis zahlten und so die Saat der Gier in die lokalen Köpfe einsinken ließen. Inzwischen ist die ganze Bucht mit großen Häusern dichtgepackt, aus 6000 Einwohnern wurden 30000, die Bade-Touristen nicht mitgezählt. Wir stoppten an einem zentralen Café und riefen über Internettelefonie Veljo, meinen Kontakt, an. Gerade nicht erreichbar, schade! Der Kellner des Lokals gab sich nun auch als Biker zu erkennen und so fragte ich ihn aufs Geratewohl, ob er Veljo vielleicht kenne. Ja, er kenne ihn! Ob ich ihn anrufen wolle? Er könne mir sein Mobiltelefon geben. Nun klappte es mit der Verbindung - zehn Minuten später kamen Veljo und seine Frau Lijliana auf Veljos BMW 1200 GS angefahren und wir machten uns bekannt. Als erstes fragte Veljo, ob wir heute Nacht in der Stadt bleiben würden? In dem Fall sollten wir bei ihnen übernachten, sie hätten genug Platz für zwei Mitglieder der großen Bikerfamilie. Wie schön, wir brauchten uns keinen Campingplatz suchen und hatten außerdem mal wieder eine Gelegenheit, in ein lokales Familienleben hineinschauen zu dürfen! Beide sprechen ein gut brauchbares Englisch, im Gegensatz zu ihren Kindern (19,17,7 Jahre alt), die sich nur wenig für Fremdsprachen interessieren, wie Lijljana bedauernd erzählte. Nach einem gemeinsamen Kaffee fuhr Veljo mit Lijljiana auf dem Sozius vor uns her zu ihrem Haus hoch über dem Meer. Bis vor zwei Jahren hatten sie, beide aus alt ansässigen Familien stammend, dort noch einen unverbauten Meerblick, doch nun wurde ein neues Haus davorgesetzt und hat ihnen den Blick genommen. Das bedauern sie sehr, doch konnten sie es nicht verhindern. Die Korruption in Montenegro ist ein großes Problem und führt unter anderem dazu, dass Leute mit der richtigen Schmierung an den entsprechenden Stellen machen können, was sie wollen. Auch höher bauen, als gesetzlich erlaubt... Tja, futsch ist der Ausblick! Wir durften, nachdem wir die Kids begrüßt hatten, uns im Gästezimmer (noch mit Blick auf die Berge) einrichten und eine Dusche nehmen. Dann fuhren wir mit den Eltern im Auto noch einmal den Berg hinunter. Sie wollten uns die Altstadt zeigen. Vorher wurden wir zu einem Drink im örtlichen Bikerclub eingeladen und saßen philosophierend beim Bier. Dem ersten lokalen Starkbier folgte ungefragt ein zweites - und das ohne Abendbrot im Magen. Mir wurde schon etwas schwindelig, als wir schließlich losmarschierten, um die Altstadt zu sehen. Die Bewegung tat gut. Wir spazierten am Yachthafen vorbei, wo viele richtig teure Motoryachten auf dem klaren Wasser schwebten Budva sei eine sehr alte Stadt, erzählte Veljo, als wir auf einmal vor einer hohen, dicken Stadtmauer standen. Als wir durch ein kleines Tor in der Mauer schritten, waren wir in einer anderen Welt. Draußen das lärmende, moderne Hochglanzleben, hier drinnen haben Autos keinen Zutritt, man wandelt auf blankgetretenem Steinpflaster durch schmale Gässchen und über kleine Patios. In den historischen, liebevoll restaurierten Häusern Souvenirshops und die üblichen Boutiquen, in denen immer dieselben teuren Dinge kaufen kann, die niemand wirklich braucht. Immerhin sind die Läden hier dezent in die Kulisse gearbeitet. Irgendwoher roch es verführerisch - bald hatten wir alle ein großes Stück sehr leckerer Pizza in der Hand. Aber wie kann man mit nur einer freien Hand fotografieren? Als wir spät abends nach Hause fuhren, waren nicht nur unsere kopfinternen Speichermedien randvoll mit Eindrücken.
Freitag, 03.06. Budva
Morgens saßen wir mit Veljo und Lijljana beim Kaffee und planten den Tag. Die Beiden meinten, wir sollten uns doch die Altstadt nochmal bei Tageslicht anschauen und Veljo bot an, uns eine Bootstour zu der, der Küste vorgelagerten St Stefans-Insel zu organisieren. Früher hatte er selbst ein kleines Taxiboot, mit dem er Touristen herumgeschippert hat und darum hat er gute Kontakte zu anderen Bootsbesitzern. Einen rief er nun an und dann hieß es: in fünf Minuten kann es losgehen! Oops, so schnell? Ohne Frühstück im Magen sausten wir zum Bootsanleger, wo ein junger Mann uns mit seinem kleinen Motorboot erwartete. Wir nahmen Platz und tuckerten langsam über das durchsichtige Meer durch die Bucht auf die Insel zu. Was es damit auf sich hat? Früher war St. Stefan eine von Fischern bewohnte Felseninsel. Bis die Regierung (?) vor 50 Jahren beschloss, die gesamte Insel in ein großes Hotel zu verwandeln. Die Fischer wurden "umgesiedelt", die Häuser wurden stilecht renoviert und ihrem neuen Verwendungszweck gemäß umgestaltet. In diesem Hotel kann man nun für mindestens 1000 Euro pro Nacht einkehren und die romantische Umgebung genießen. Viele große Stars, wie z.B. Silvester Stallone oder Sophia Loren waren schon hier. Doch wo das viele Geld hin geht, wusste niemand zu sagen. Offiziell ist wohl eine Firma aus Singapur beteiligt, aber es gibt wohl Grund zu der Annahme, dass diese Firma nur Strohmannfunktion hat. Wikipedia meint, dass der Löwenanteil der Einnahmen aus dem Tourismusgeschäft an diesem Teil der Adriaküste in dunklen Kanälen verschwindet und auch das Wort Mafia habe ich in diesem Zusammenhang irgendwo gelesen... Wie dem auch sei, vom Wasser aus ist die Insel mit ihren an den Felsen geklebten Steinhäusern sehr fotogen! Während der Fahrt warf Veljo eine Angel aus und hatte nach nur zehn Minuten einen etwa 2 kg schweren Fisch ins Boot gezogen. Das arme Wesen zappelte und sprang im Boot herum, während es allmählich erstickte. An Bord gab es leider kein brauchbares Werkzeug, um dem Fisch den Todeskampf zu erleichtern und es tat uns leid, dem allmählich schwächer werdenden Japsen zuschauen zu müssen. Nach etwa zwei Stunden war die Rundfahrt beendet, Veljo fuhr nach Hause, wir blieben in der Stadt und gingen erstmal zu einem der städtischen Badestrände. War das herrlich, dort mit den kleinen Fischen im sonnendurchfluteten, klaren kühlen Wasser zwischen großen Felsen herumzuschwimmen, während, selbst mit dem Kopf unter Wasser, die Glocke der Kirche in der nahen Altstadt zu hören war! Erfrischt entstieg ich den Fluten (Thomas erwartete mich am Strand, wo er inzwischen dem "dolce far niente" gefrönt hatte) und wir schlenderten noch einmal durch die alten Gemäuer. Nun meldete sich auch der leere Magen zu Wort. Es war inzwischen früher Nachmittag und wir hatten noch nichts gegessen. Wir landeten wieder bei einer Pizza. Die Preise sind in diesem Land noch sehr moderat und man zahlt, was wir erst gestern erfahren haben, in Euro. Nach dem Zerfall des ehemaligen Jugoslawien mussten die neuen Staaten sich irgendeine Währung zulegen und Montenegro, als kleinstes der neuen Länder, beschloss damals, sich der D-Mark anzuschließen. Von der Stabilität der D-Mark profitierte das Land und als Deutschland dann zum Euro wechselte, wechselte Montenegro halt mit. Obwohl es bislang nicht zur EU gehört. Man möchte natürlich gerne und wartet ungeduldig auf das OK der EU-Kommission, aber noch ist es nicht so weit. Und da dieses Land mit der Korruption ein großes Problem hat, das vor dem Beitritt zur EU zu lösen ist, wird es wohl noch ein paar Jährchen dauern... Aber nichtsdestotrotz hat der Euro schon Einzug gehalten und macht uns das Leben hier leichter. Mit Pizza im Bauch wanderten wir also weiter durch die Gassen der Altstadt, erklommen die historische Zitadelle, von der man einen schönen Panoramablick auf die Stadt über dem blauen Meer, die hohen Berge dahinter und den ebenfalls blauen Himmel darüber hat. Ein richtig toller Urlaubstag für uns! Erst am späten Nachmittag stiegen wir die steilen Straßen zu unseren Gastgebern wieder empor, verbrachten den Abend plaudernd auf der Terrasse, während über den Bergen ein wahres Feuerwerk an Blitzen stattfand. Wir saßen bei diesem Schauspiel in der ersten Reihe! Für unsere Weiterreise organisierte Veljo uns per Telefon eine Übernachtung beim befreundeten BMW-Club in Split (Kroatien). Wir wurden "beauftragt", morgen abend dort anzukommen, denn der Club feiert eine Party und man würde sich freuen, wenn wir sie dabei unterstützen. Wir sind gespannt!!
Sonnabend, 04.06. Split
Wieder auf die Straße. Richtung Split, wo wir heute abend eingeladen sind. Wegen des Wochenendes ist die Küstenstraße ziemlich voll, was den Fahrgenuss ein wenig schmälert. Bald hinter Budva beginnt die verzweigte, tief eingeschnittene Bucht von Kotor. Am engen Flaschenhals der Bucht kann man eine Fähre nehmen und die "unnützen" Kilometer abkürzen, aber das wäre eigentlich schade drum! Um jeden Zipfel dieser Bucht schlängelt sich die Straße herum und hinter jeder Kurve versteckt sich ein neues Bilderbuchpanorama. Von Süden kommend, fährt man erst auf Meereshöhe durch viele beschauliche kleine Orte hindurch, wo jedes der alten Häuser einen eigenen gemauerten Bootssteg hat und die einspurige Straße sich eng zwischen grauen Steinhäusern mit hölzernen Fensterläden und blühenden Büschen davor entlangwindet. Kleine Fischerboote schaukeln auf dem Wasser, vereinzelt sonnen sich Urlauber am schmalen Strand. Im Hintergrund des Bildes immer die kahlen Berge, schützend um die Bucht gelagert. Am Ende der Bucht liegt die Stadt Kotor. Wie Budva hat auch diese Stadt einen alten Teil mit einer dicken Festungsmauer drumherum. Im Hafen herrscht reger Betrieb, kleine Fähren und ein Kreuzfahrtschiff schieben sich gerade aneinander vorbei, der große Dampfer tutet laut. Viele Touristen bevölkern die Innenstadt, durch die wir jetzt nur langsam durchfahren, denn wir haben noch eine lange Strecke vor uns. Am Nordufer der Bucht verläuft die Straße höher am Berg entlang und wir können uns die ganze Szenerie von oben anschauen. Mitten in der Bucht liegen zwei kleine flache Inselchen. Jede ist mit einem Kirchlein bebaut. Als wir zum Fotografieren anhalten, läutet dort sogar eine Glocke, wie romantisch! Ein altertümliches Schiff mit sehr schlankem Rumpf, angetrieben durch zwei kleine Schaufelräder an den Seiten, schaufelt durch das fast schon kitschige Bild... Bald hinter der Bucht von Kotor stehen wir schon wieder an einer Grenze: hier geht es nach Kroatien hinein. Die Kontrollen gehen recht zügig vonstatten und dann sind es noch 35 km bis Dubrovnik. Wieder eine schöne alte Stadt mit Festung, die wir von der, hier höherliegenden Straße aus sehen. Ebenfalls eine eigene Reise wert! Kroatien unterscheidet sich im ersten Eindruck nicht wesentlich von Montenegro. Vielleicht etwas weniger Hochglanz und etwas bodenständiger? Hier haben sie noch "eigenes" Geld, den Kuna. Für einen Euro bekommt man etwas mehr als sieben Stück davon. Erstmal brauchen wir noch kein Geld und überhaupt sehen wir eh keine Geldautomaten. Folgen weiter der Küstenstraße, die hier nicht mehr so voll ist. Gemütliches Fahren über dem Meer, noch 200 km bis Split. Dann schon wieder ein Grenzposten, mitten im Land: das vom Meer ansonsten komplett abgeschnittene Nachbarland Bosnien-Herzegowina hat hier einen nur wenige Kilometer schmalen Korridor ans Meer bekommen. Die meisten Grenzgänger sind Transitreisende und die Kontrollen fallen darum sehr lässig aus. Nichtmal einen Stempel bekommen wir, schade! Eine halbe Stunde weiter werden wir wieder nach Kroatien durchgewunken. Über den hohen Bergen zu unserer Rechten wachsen im Laufe des Nachmittags die Wolken hoch, über dem Meer und der Küste bleibt der Himmel blau, das Thermometer sagt 30 Grad an. Küste satt mit immer wieder überraschenden Ausblicken auf kleine Inseln, versteckte Buchten, hohe Felsen und das weite, ach so blaue, sonnenbeglänzte Meer. Ab und zu erschreckt uns ein saturday-night-fiebernder Autofahrer mit halsbrecherischem Überholmanöver, aber unsere Schutzengel fahren mit uns und nix passiert. Nach 350 km erreichen wir mit deutlich schmerzendem Hinterteil die Großstadt Split und fragen uns durch zu der angegebenen Adresse. Die liegt mitten in einem Industriegebiet und wir suchen eine ganze Weile, aber dann sehen wir ein paar Motorräder auf einem Parkplatz stehen und hören auch schon Leute rufen. Wir parken unsere dreckigen "Jungs" in der Reihe, wo schon einige große, frisch geputzte BMWs stehen und stellen uns den Leuten vom BMW Club vor. Der Grund für die Party ist die zweimonatige Reise des Clubchefs Rakela, der ab morgen früh zusammen mit seiner Frau auf einer 1200 GS über London nach NY und weiter nach Westen fahren will. Wir bekommen zu essen und zu trinken und mischen uns unters Volk. Zu dumm, dass wir nun nach dem langen Fahrtag eigentlich viel zu müde sind zum Partyfeiern. Wir dürften heute auch im Clubhaus schlafen, aber das geht erst, wenn die Party vorbei ist, denn noch wird dort gefeiert. "Was tun?" sprach Zeus... erstmal noch was zu trinken holen... Im Gespräch mit einem Pärchen fragt Thomas, woher die Beiden ihr gutes Englisch gelernt hätten. Ohne zu Zögern sagt das blonde Mädel: “From Cartoon-Network!“ In der Schule hätte ihre Altersklasse (ich schätze sie auf Ende Zwanzig) nur wenig Englisch gelernt, aber sie hätten halt viele amerikanische Cartoons im Fernsehen geschaut... Heute würden die Kids in Kroatien schon in der ersten Klasse mit dem Englischlernen anfangen, erzählt sie weiter. Um elf sind wir so müde, dass wir beschließen, das Zelt irgendwo aufs Grundstück zu stellen. Thomas fragt Rakela, der sich eben auf sein Motorrad schwingt, wo wir uns aufbauen können, da sagt er, wenn wir müde seien, sollten wir einfach hinter ihm herfahren. Gesagt, getan. Unter dem ohrenbetäubenden Abschiedsgehupe aller Motorräder fahren wir davon. Zehn Minuten später schließt Rakela für uns die Tür zu dem Kampfsportstudio, das er leitet, auf: hier dürfen wir schlafen. Wir legen uns ein paar Trainingsmatten zwischen die großen Punchingballs, die von der Decke herabbaumeln und lassen uns im typischen Duft von sportlichem Schweiß und unter den auf die Wand gezeichneten Augen von Bruce Lee ins Koma sinken. Was wir erst morgens erfahren: das Gebäude, in dem wir schlafen, ist als Atombunker erbaut worden. Rakela zeigt uns die 50 cm dicke Schutztür, mit der man sich von der Außenwelt abschotten kann...
Sonntag, 05.06. Plitvicka
Kaum haben wir die Augen wieder offen, da stehen schon die treuesten der BMW-Freunde wieder vor der Tür, um Rakela aus der Stadt zu geleiten. Wir schließen uns kurzfristig dem kleinen Konvoi an. Einer der Freunde zeigt uns den Weg zurück auf die Küstenstraße, die wir noch bis Zadar weiterfahren wollen. Aber erstmal stoppen wir in einem kleinen Fischerort, um zu frühstücken. Eine süße kleine schwarze Katze leistet uns dabei Gesellschaft. Sie behauptet, sehr hungrig zu sein und versucht beharrlich, auf die Bank, die uns als Tisch dient, zu klettern. Lässt sich von unseren Versuchen, sie davon abzuhalten, nicht im Geringsten entmutigen. Gestärkt (ja, natürlich bekommt die Katze ein bisschen Milch!) fahren wir weiter an der Küste entlang. Allerdings haben wir das schönste Stück hinter uns, die Abstände der Ausblicke über das blaue Meer und auf alte Gemäuer werden zusehends länger. Die Straße ist sehr gut, die Kurven so bemessen, dass man eigentlich nie so richtig vom Gas gehen muss und so kommen wir gut voran, stoppen nur selten. Erst kurz vor Zadar bestehe ich auf einer letzten Badepause, bevor wir das Mittelmeer nun bald endgültig verlassen (seufz!). In der Stadt Zadar (auch hier wieder eine Festungsmauer um eine historische Altstadt herum) sollte es eine Art Orgel geben, die durch das Meer betrieben würde, hatte uns einer der BMW-Jungs erzählt und da wir uns nicht so recht was darunter vorstellen können, wollen wir uns das Phänomen mal anschauen. An der Strandpromenade finden wir das Gesuchte: schon aus einiger Entfernung hört man tiefe, wechselnde Orgeltöne. Beim Näherkommen stellt sich heraus, dass die Zöne durch Klanglöcher in den Treppenstufen entlang dem betonierten Ufer quellen. Leider kann man nicht sehen, wie es darunter aussieht... Von Zadar aus wenden wir uns nun in Richtung der Berge, die uns in den letzten Tagen zu unserer Rechten begleitet haben. Nun wollen wir sie überqueren und im Landesinneren weiter nach Slowenien fahren. In weiten Schwüngen arbeitet sich die Straße die felsig-kahlen Berge hinauf, es wird windig. Jenseits des Passes ist auf einmal alles grün. Die an der Küste subtropische Vegetation haben wir schon hinter uns gelassen. Dafür hier blühender Holunder, Wildblumen, grüner Mischwald. Ein Regenschauer hat kurz zuvor die Landschaft begossen, es riecht nach feuchter Erde und Laub. Hier in den Bergen sehen wir die ersten Kriegserinnerungen: verlassene Häuser mit Hunderten von Einschusslöchern in den Wänden... Während wir fahren, denken wir beide über das Phänomen des Krieges nach. Wie ist es möglich, dass die freundlich-unauffälligen Menschen, die wir erleben, vor wenigen Jahren auf einmal anfingen, sich gegenseitig Löcher in Häuser und Köpfe zu schießen? Und genauso unbegreifbar: wie konnten sie danach wieder zu diesem normalen Leben zurückkehren, neue Häuser bauen und, anstatt Nachbarn umzubringen, wieder normal arbeiten gehen? Die Leute vom BMW-Club zum Beispiel: sie sind alle in dem Alter, dass sie wahrscheinlich in diesem Krieg Soldaten waren. Nun fahren sie Motorrad, reisen ins Ausland, arbeiten z.B. im Sicherheitssektor, schauen Cartoon-Network oder lassen sich piercen, genau wie es die Leute anderswo auch tun. Wo haben sie ihre Kriegserlebnisse abgelegt? Viele offene Fragen und leider hatten wir gestern keine Gelegenheit, sie jemandem zu stellen. Bei lauter, rockiger Livemusik keine Chance auf Gespräche dieser Art. So denken wir also beim Fahren vor uns hin und landen nach weiteren 70 km schließlich beim Nationalpark Plitvicka. Wir dachten, man könne dort wohl zelten, aber dem ist leider nicht so. Etwa 15 Euro Eintritt ist uns heute abend auch zu viel, darum fahren wir weiter, schlagen uns in der Nähe in die grünen Büsche und genießen den hausgemachten Ziegenkäse, den wir am Straßenrand gekauft haben.
Montag, 06.06. Lisca
Nach einer Stunde Fahrt am Morgen sind wir schon in Karlovac, der letzten Stadt vor der slowenischen Grenze. Hier ist der Krieg noch besonders deutlich sichtbar: in ganzen Straßenzügen sieht es aus, als wären die Soldaten einfach um sich schießend durch die Stadt gefahren, so zerlöchert ist der Putz der Häuser! In einem kleinen Café warten wir einen Regenschauer ab und unterhalten uns etwas mühsam mit einem kontaktfreudigen älteren Mann, der vor 45 Jahren einige Zeit in Düsseldorf gearbeitet hat und sich freut, etwas Deutsch zu praktizieren. Seine Sprachkenntnisse sind allerdings ziemlich eingerostet, außerdem ist er nicht ganz nüchtern, darum bemühen wir uns nur halbherzig, das Gespräch am Laufen zu halten. Bald ist der Schauer zuende und wir machen uns auf die letzten 20 kroatischen Kilometer bis zur Grenze in Metlika, wo wir mühelos und schnell wieder in die EU einreisen. Erstaunt stellen wir bald fest, dass Slowenien inzwischen auch schon der Währungsunion beigetreten ist: an den Tankstellen sind die Preise in Euro angegeben. Und wir dachten, man zahle hier noch mit dem slowenischen Tolar! Gut für uns, so müssen wir nicht für die kurze Zeit in diesem kleinen Land nochmal Geld wechseln. Der erste Eindruck von Slowenien: grüne Mittelgebirgslandschaften mit kleinen gemütlichen Dörfern, fast auf jedem Berg ein Kirchlein oder eine alte Festung. Die meisten Häuser und Straßen sind modern und gut in Schuss. Wir fahren bis Novo Mesto auf der belebten Hauptstraße und biegen dann ab Richtung Krsko. Von dort auf einer gut ausgebauten, neuen Straße mit erträglichem Verkehrsaufkommen im Tal der Sava bis Sevnica. Der breite Fluss ist gut gefüllt, die Straße folgt seinen weiten Windungen. Auf der Suche nach einem Übernachtungsplatz biegen wir ab und fahren eine schmale Teerstraße entlang. Schauen hier und da in kleine Nebenwege hinein, aber finden keinen schönen Platz. Im Wald ist es uns zu dunkel und zu nass, ein anderer Platz ist uns zu schwierig zu erreichen - wir suchen weiter und werden schon etwas ungeduldig. Die Straße führt nun immer weiter den Berg hinauf, auf Schildern an der Straße sieht man ein Haus unter einem Baum, dabei der Name "Lisca". Vielleicht eine Wanderhütte? Gespannt fahren wir weiter und schrauben uns schließlich durch die Wolken und bis auf den Gipfel des 945 m hohen Berges hinauf. Ganz oben, mit einem genialen Blick über die niedrigeren Berge der Umgebung, steht ein Hotel. Aber leider ist die Tür verschlossen, Ruhetag! Schade, das wär's doch gewesen! Aber wir brauchen ja gar kein Hotel, wir haben doch unser Zelt! Und das stellen wir nun auf eine üppig bunte Blumenwiese unweit des Hotels, mit ebenso atemberaubendem Ausblick auf den lebhaften Abendhimmel. In der Ferne hängen Regenschleier aus den grauen Wolken, die tiefstehende Sonne färbt den Himmel orange-gelb. Tief unter uns weiße Watte zwischen den bewaldeten Hügeln, die Luft ist ganz still... wow, was für ein Schlafzimmer! Andächtig stehen wir und schauen auf die Welt zu unseren Füßen hinunter. Eine Nachtigall singt sich warm für ihr nächtliches Konzert, sonst ist alles ruhig. Die leisen Geräusche aus der Welt der Menschen da unten sind so weit weg...
Dienstag, 07.06. in Österreich, bei Leibnitz
Um sechs Uhr bin ich wach und schaue gespannt aus dem Zelt: unter uns eine geschlossene weiße Decke, aus der nur die höheren Berggipfel herausschauen. Die Sonne geht gerade auf, die ersten Vögel fangen an zu singen. Heute lassen wir uns richtig Zeit mit dem Frühstück. Während die Sonne allmählich die Wiese erobert und all die bunten Blumen aufleuchten, sitzen wir am gedeckten Holztisch, trinken unseren Kaffee, machen ein paar kleine Reparaturen und schauen in die wunderschöne Gegend. Dann packen wir und rollen den Berg wieder hinunter. Auf verschlungenen Wegen fahren wir um den Berg herum und "Pi mal Daumen" weiter nach Norden. Unterwegs kaufen wir uns dann doch lieber eine anständige Landkarte, damit wir uns in dem Gewirr von kleinen Sträßchen besser zurechtfinden. Slowenien gefällt uns sehr, besonders in dem heutigen Sonnenwetter. Ein echtes Postkartenland! So viele Motive von hübschen Bergbauernhöfen auf grünen Wiesen, mit Geranienkästen vor den Fenstern und gepflegtem Gemüsegarten. Die Stangenbohnen sind schon einen halben Meter hoch, die Kartoffelpflanzen blühen - alles wächst und gedeiht schön ordentlich in Reihen. Der erste Grasschnitt trocknet in traditionellen Heuschobern aus dunkel gebeiztem Holz unter weit ausladendem Ziegeldach. Es duftet nach Heu. Im Hintergrund des Bildes findet sich fast immer ein frisch gestrichenes Kirchlein auf erhöhtem Posten... Wir lassen uns Zeit und kurven auf den kleinsten Straßen, die wir finden können, durch diese ländliche Idylle, umgehen die Stadt Celje auf der Ostseite und stehen in einem engen Tal auf einmal vor dicken alten Mauern und Ruinen: der Zufall hat uns zu dem Karthäuserkloster von Zice geführt, das auf eine mehr als 800-jährige Geschichte zurückblickt. Während Thomas die Bikes hütet, gehe ich mit einem Audioführer auf dem Gelände auf Entdeckungstour, schaue mir die Ruine der Kirche an, die gewaltigen Wehrmauern und -türme, mit denen sich die Mönche vor den Angriffen der Türken schützen wollten, schlendere durch den Klostergarten, wo die Mönche ihre Heilkräuter angebaut haben und versuche mir vorzustellen, wie es damals hier ausgesehen haben mag, als die Karthäuser-Mönche schweigend zusammenlebten, viele Bücher aus ihrer großen Bibliothek (damals der größten Sammlung nach derjenigen von Rom!), lasen und meditierten, um den Willen Gottes zu erfahren. Ein sehr schöner, ruhiger Ort für solch ein Leben! Auf der Weiterfahrt kommen wir bald durch Zrece, das für seine Thermalquellen bekannt ist. Richtung Norden windet sich von dort eine schmale Straße bis auf den Berg Rogla (1517 m hoch) hinauf. Ganz schön frisch da oben! Ein Wintersportort mit Skiliften und Hotels wartet auf die nächste Saison - wir sind froh, dass es für uns wieder hinunter geht in wärmere Gefilde. Auf den letzten 18 Serpentinen-Kilometern vor dem Ort Lovrenc ist die Strecke geschottert und zum Teil etwas weich, da sie gerade repariert wurde. Unangenehm, wenn man einen Meter neben dem steilen Abhang fährt und ins Rutschen kommt! Ich komme mit dem Schrecken davon und fahre langsamer... Von Lovrenc sind es nur noch etwa 20 km bis nach Österreich. Wir entscheiden uns auch hier für die kleinste Straße. An der Abzweigung steht eine Boxer-BMW, ein junger Österreicher kommt auf uns zu, als wir anhalten, und erzählt uns, sein Motorrad sei kaputt und er warte auf seinen Vater, der ihn mit Auto und Hänger ins 1,5 Stunden Autofahrt entfernte Zuhause abzuholen unterwegs sei. Der Spitzname für BMW: "Bring Mich Werkstatt" hat wohl doch seine Berechtigung... Was haben wir doch in den letzten Jahren für Glück gehabt mit unseren treuen Bikes, die uns zwar auch manches Kopfzerbrechen bereitet haben, aber niemals einfach so stehengeblieben sind und abtransportiert werden mussten! Das kleine Sträßchen läuft noch einmal durch kleine schmucke Bergdörfer, aber wir finden den Ausgang aus Slowenien nicht. Ein Anwohner zeigt uns die unscheinbare Schotterpiste, die uns fast unbemerkt das Land wechseln lässt. Nur ein kleines Schild neben einem Häuschen, das wohl früher mal einen Grenzposten beherbergt haben mag, weist uns unaufdringlich darauf hin, dass wir nun in Österreich seien. Das erste Straßenschild in deutscher Sprache, das wir sehen: "Wasserschutzgebiet - Zufahrt verboten!" Im Verbieten ist man im deutschsprachigen Bereich wirklich gut... Wir wenden uns Richtung Leibnitz und sind bald mitten im Feierabendverkehr, der hier natürlich gesitteter stattfindet als in den letzten besuchten Ländern. Dabei kommen wir durch Orte mit solchen komischen Namen wie zum Beispiel "Großklein" oder "Heimschuh". In Großklein sehe ich einen Wegweiser nach...? Richtig, nach "Kleinklein"! Aber es erweist sich hier als richtig schwierig, im dicht besiedelten Land einen Zeltplatz zu finden. Überall Häuser und Straßen! Schließlich verstecken wir uns in einem Waldstück und haben gerade fertig aufgebaut, als es nach einigen kräftigen Sturmböen, die uns fast das schnell aufgespannte Tarp wegreißen, anfängt zu regnen und heftig zu donnern. Allmählich reicht es mir mit den ewigen Gewittern! Stundenlang zieht eine Gewitterfront nach der anderen über uns hinweg, der Donner hallt lange nach.
Europa Juni 2011 (Weltreise Tagebuch 141) nächstes Tagebuch
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