Mittelamerika Reiseberichte


Mexiko
 
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Fr.13.03.Cuernavaca
Ausflug nach Mexiko-Stadt. Um halb neun hatten wir am Busbahnhof jeder 80 Pesos bezahlt und ließen uns im geräumigen Pullmanbus über die Dauer eines Disneyfilms in die Stadt schaukeln.
Am südlichen Busbahnhof, Taxqueña, stiegen wir in die Metro um, die uns schnell zum Zahnarzt brachte. Sofort beim Einsteigen fiel uns der zurückgezogene Gesichtsausdruck der anderen Fahrgäste auf. Das typische Großstadt-Phänomen: zu viele Menschen, daher zu viel körperliche Nähe zu lauter fremden Menschen, was Selbstschutz durch Flucht nach innen bewirkt. Große Städte sind nicht gut für die Menschen, das fällt mir immer wieder auf! Wie viele Leute es hier wohl gibt, die nie aus diesem Riesengebilde von Häusern und Straßen herauskommen?
Unerwarteterweise waren wir schon eine Stunde vor Termin in der Praxis. Trotzdem kam ich sofort an die Reihe und konnte mich über die Konditionen für ein Implantat informieren lassen. Erfreulicherweise war der Preis deutlich niedriger als der, den mir der andere Zahnarzt genannt hatte. Hoffentlich macht dieser seine Arbeit trotzdem gut! Als wir die Praxis verließen, hatten wir noch fast den ganzen Tag vor uns, genehmigten uns einen Cappucchino und gingen dann zu Fuß in das historische Stadtzentrum. Das war ziemlich weit! Aber auch interessant.
Besonders, weil wir nur einen sehr rudimentären Stadtplan dabei hatten und auf gut Glück angewiesen waren, um unseren Weg zu finden. Diese Mengen an Autos in dieser Stadt sind wirklich beeindruckend! Erstaunlicherweise war die Luft heute trotzdem nicht soo schlimm und wir kamen mit schmerzenden Füßen, aber sonst unbeschadet in der Altstadt an. Dort kannte ich mich dann wieder aus und konnte Thomas stolz „mein“ Mexiko-City zeigen. Wir spazierten am Torre Latinoamericana vorbei, dem zur Zeit des Baues 1950, mit 178m höchsten Turm Lateinamerikas. Im 44. Stockwerk gibt es eine Aussichtsplattform, aber wer will schon über ein im Smog verschwindendes Häusermeer schauen?
Stattdessen warfen wir einen langen Blick in den Palacio de las Bellas Artes (Palast der schönen Künste), eines der wohl meistfotografierten Gebäude Mexikos, mit seinem gewaltigen Marmorfoyer und beeindruckenden Wandgemälden Diego Riveras und folgten dann der Straße zum Zocalo. Dort bewunderten wir das komplett mit bemalten Fliesen verkleidete Sanborn-Haus und die vielen alten Häuser, die schon so manches Erdbeben überlebt haben und gingen zum Abschluss unseres heutigen Ausflugs in die große Kathedrale am Zocalo. Dort steht immer noch die alte Orgel mit den langen „spanischen Trompeten“, auf der mein Vater spielen durfte, als ich mit ihm zusammen 1979 das erste Mal in Mexiko war. Das war natürlich ein Ereignis!
Aber nun war uns der Tag auch lang genug gewesen. Die U-Bahn hält direkt am bzw unter dem Zocalo, sie brachte uns flott wieder zum Busbahnhof, wo alle paar Minuten ein Bus nach Cuernavaca abfährt. Der öffentliche Personenverkehr funktioniert hier wirklich gut und kostet nicht viel Geld (eine Metrofahrt kostet 2 Pesos!). Nur vor den sogenannten „nichtauthorisierten“ Taxen wird gewarnt, wegen häufig unverschämter Abzocke. Darum sollte man sich direkt in den Busbahnhöfen bzw auf dem Flugplatz in den dafür vorhandenen Schaltern ein sicheres Taxi bestellen und nicht in wartende Taxis steigen! Wir haben die Erfahrung beim letzten Besuch recht schmerzhaft gemacht, weil die Metro nicht fuhr...
Leider waren nun heute die Ausfallstraßen sehr voll: es ist Freitag und am Montag ist ein Feiertag, da wollen natürlich alle so schnell wie möglich nichts wie weg. So brauchte unser Bus eine geschlagene Stunde, um überhaupt aus der Stadt zu kommen und dann noch die normale Fahrtzeit von einer Stunde nach Cuernavaca. Ein Fantasyfilm in spanischer Synchronisation half uns, die Zeit zu überbrücken.
In Cuernavaca angekommen, wollte der erste Taxifahrer uns für den Preis, den wir hier bisher immer bezahlt haben, partout nicht nach Hause fahren! Scheinbar wollte er lieber auf eine lohnendere Tour warten. Soll er! Wir stiegen wieder aus und liefen eine Straße weiter. Dort fanden wir einen für das normale Geld. Feierabend, Schuhe aus, Füße hoch...

Sa.14.03.09 Cuernavaca
Endlich kann ich mich mal nützlich machen! Meine hochbetagte Tante Cecilia, die in Cuernavaca lebt und auf tägliche Hilfe angewiesen ist, hat eine Versorgungslücke zu füllen und das habe ich mehr zufällig erfahren. Die ganzen familiären Zusammenhänge will ich euch nicht zumuten, aber was dabei unter dem Strich steht, ist, dass wir morgen früh mit all unserem Gepäck umziehen und den Sonntag mit der Versorgung und Unterhaltung der alten Dame zubringen werden. Da es dort ein zur Zeit nicht gebrauchtes Zimmer gibt und auch eine geschlossene Garage, bleiben wir dann dort, solange wir noch in Cuernavaca zu tun haben.
Wir verbrachten heute einige Stunden bei Cecilia, die mit ihren achtundachzigeinhalb Jahren leichtfüßig zwischen Spanisch und Englisch, zur Not auch Deutsch, hin und her wechselt und aus ihrem langen Leben viele abenteuerliche Geschichten erzählen kann und mag.
In Chicago geboren wuchs sie als Tochter einer wohlsituierten Familie irisch-katalanischer Herkunft in Mexiko auf, heiratete mit 21 Jahren einen deutschen Ingenieur (meinen Großonkel Walter) und bekam sechs Kinder. Eines Tages, so erzählt sie, war es genug mit diesem Mann und sie ging aus dem Haus. Zog 30km weiter in den kleinen Ort Tepotzlan, wo sie, wie sie sagt, die schönsten neun Jahre ihres Lebens zwischen den Indios und Mestizen der einfachen Landbevölkerung verbrachte.
Als ihr 18 Jahre älterer Ex-Ehemann pflegebedürftig wurde, zog sie genauso kurzentschlossen wieder zu ihm und pflegte ihn fünf Jahre lang bis zu seinem Tod.
Fast alle ihre Kinder leben heute weit verstreut von Brasilien bis Hawaii und sie ist stolz darauf, dass sie alle tun konnten, was ihnen beliebte, frei von jeder Umklammerung.
Die Familie hat auch viel Leid erlebt und drei ihrer Kinder leben heute nicht mehr, aber sie ist heiter und mit ihrem Leben im Frieden. SIe lebt gern allein und kann sich gut mit sich selbst, ihren Erinnerungen und der Verarbeitung derselben beschäftigen. Ihr Geist ist klar und orientiert, sie weiß, was sie will und sagt es geradeheraus. Eine bemerkenswerte Frau!
Von den vielen interessanten Geschichten schwirrten uns die Köpfe, als wir im abends um halb acht mit einem klapperigen Bus zum letzten Mal zurück ins Hostel fuhren. In unserem Zimmer wurden wir von Lucy erwartet, einer jungen Deutschen Backpackerin, die wegen Platzmangels für eine Nacht unser Zimmer mit uns teilt.

So.15.03. Cuernavaca, bei Doña Cecilia
Verdammt früh klingelte der Wecker, denn um neun Uhr steht Doña Cecilia auf und braucht dabei Hilfe. Wir bekamen ein großes Taxi, um unser ganzes Geraffel zu transportieren und waren pünktlich vor Ort.
In Wirklichkeit braucht sie gar keine Hilfe, nur die Sicherheit, dass jemand da ist.
Den Vormittag über, nach ihrem Frühstück, saßen wir zusammen im Halbschatten und sie erzählte weitere Geschichten in Englisch und Spanisch, wobei sie zwischendurch häufig anfängt zu lachen, wenn ihr etwas Lustiges einfällt. Nicht immer können wir alles verstehen, was sie sagt, aber das tut der Sache keinen Abbruch. Spannend ist es trotzdem, sich vorzustellen, wie diese kleine zerbrechliche Frau, die nur mit Mühe und Gehbock langsam durch ihre Wohnung spaziert, ihr Leben gemanagt hat mit einem manchmal wohl recht despotischen und untreuen Ehemann und vielen Kindern.
Das Haus und der Grund, auf dem sie lebt, stecken für mich ebenfalls voller Erinnerungen aus meinen mehrfachen Besuchen vor langer Zeit. Der Pool, in dem ich viele Stunden plantschend verbracht habe, das Klavier, das in Onkel Walters großer Halle stand und nun in Cecilias kleinerer Wohnung wohnt, viele Bilder, die mit der Familiengeschichte verknüpft sind, der Garten, wo ich mir vor vielen Jahren, aus dem deutschen Winter geflohen, nackt sonnenbadend den Hintern verbrannt habe, die vielen typisch mexikanischen Keramiktöpfe und -figuren, bepflanzt mit subtropischen Gewächsen: alles weckt Erinnerungen und ist außerdem sehr malerisch.
Auf dem alten Flügel stehen drei Gefäße, in denen Cecilia Teile der Asche ihres Mannes und ihrer verstorbenen Söhne aufbewahrt. Wer Bücher von Isabell Allende oder anderen lateinamerikanischen Autoren gelesen hat, kann sich vielleicht das Ambiente vorstellen. Noch eine Überraschung am Abend: Felipe, Cecilias ältester Sohn, seit neun Jahren als Kulturattaché für Mexiko in Brasilien lebend und eigentlich Maler von Beruf, kündigte seinen Besuch an und stand kurz darauf vor der Tür.
Da wir uns dreißig Jahre lang nicht gesehen haben, erkannte er mich nicht und wunderte sich wahrscheinlich über die stürmische Umarmung, die ihm zuteil wurde. Erst, als ich ihm einige unserer gemeinsamen Erlebnisse wiedererzählte, konnte er mich zuordnen.
Er hat zufällig in den nächsten Wochen einige Ausstellungseröffnungen und andere Dinge in Mexiko zu tun und wollte als Erstes seiner Mutter einen kurzen Besuch machen. Wir kramten alle gemeinsamen Bekannten aus, schauten Bilder an und verstanden uns prächtig.

Mo.16.03. Cuernavaca
Diese Reisen in die Vergangenheit regen scheinbar mein Unbewusstes sehr an: ich träume zur Zeit sehr bunt und verwirrend.
Heute ist in Mexiko irgendein Feiertag, wir können darum sowieso nichts erledigen und nehmen uns „frei“ für etwas Sport, einen Spaziergang durch die Stadt und Ähnliches.

Mi.18.03. Cuernavaca
Señora Teresa, die Haushälterin und Pflegerin unsere Gastgeberin, erzählt von den Spezialitäten mexikanischer Politik: Im Juli finden Präsidentschaftswahlen statt, wir befinden uns also im Wahlkampf. Das funktioniert hier so: die Kandidaten versuchen, Stimmen zu gewinnen, in dem sie der einfachen Bevölkerung mit Geschenken nahetreten. Das nimmt zum Teil absurde Formen an. Zum Beispiel wurde Señora Teresa auf der Veranstaltung einer Partei (zu der jedermann nur geht, weil es eventuell Geschenke gibt) gefragt, ob sie Lust hätte, mit einem Bus zu einem „Balneario“, einem Vergnügungsbad zu fahren. Dort gäbe es etwas zu essen, Kaffee etc und sie sollten vor laufenden Fernsehkameras dem Kandidaten zujubeln. Hinterher würden sie jeder 1000 Pesos bekommen und wieder nach Hause gefahren. Fünf Busse wurden gefüllt, man drückte ihnen Informationsmaterial der Partei in die Hand, das niemanden interessierte, und so jubelte man brav für 1000 Pesos dem Kandidaten zu, von dem man nichts wusste und auch nicht wissen wollte.
Ein anderer Kandidat machte es noch simpler: er schmuggelte den Menschen, die zu seiner Veranstaltung gekommen waren, beim Händedruck direkt 500 Pesos in die Hand und ließ sich versichern, man würde für ihn stimmen (was nachher niemand tut). So werden Präsidenten gemacht...
Die immer benachteiligte Bevölkerung freut sich natürlich darüber, wenn sie auch mal etwas Positives von der, das Land beherrschenden, Korruption hat.

Do.19.03.Mexiko
Die letzten Tage haben wir mit kleinen Erledigungen, Erzählungen der alten Dame und Computerarbeit zugebracht, aber nun ist es so weit: heute Nachmittag soll es passieren!
Ich lege mich leise zitternd auf den Op-Stuhl und lasse mir einen Titanstift in den Kiefer schrauben.
Nach dem Frühstück gingen wir los, Thomas begleitete mich freundlicherweise, und stoppten den Bus nach Mexiko, der praktischerweise direkt an unserem Sträßchen vorbeifährt. Der erste Bus mit einem Mexikoschild vorne drauf, der auch gleich auf mein Winken reagierte, war allerdings ein 2.Klasse-Bus, was unterschiedliche Aspekte hatte: er war halb so teuer und fuhr nicht auf der Autobahn, sondern über die viel schönere Landstraße quer durch die Berge, was Vor- und Nachteil gleichzeitig war - es gab tolle Aussichten über die Riesenstadt und auf schöne Bergwälder, aber uns wurde durch die vielen Kurven kotzübel. Davon hatten wir den Rest des Tages gut.
Wie zum Zahnarzt zu kommen war, hatten wir ja schon gelernt, die Metrofahrt war also Routine. Wie echte Mexikaner saßen wir gelangweilt auf den Niro-Sitzen und stiegen an der Station Tacuba ebenso gelangweilt von einem in den anderen Zug um. Beim Einsteigen dachte ich noch: „dies ist sicher der älteste Zug, der in ganz Mexiko fährt“, da kam auch schon eine Lautsprecherdurchsage, wir sollten wegen einer Funktionsstörung alle wieder aussteigen und auf den nächsten Zug warten. Besser so, als im nächsten Tunnel steckenzubleiben... Der nächste Zug musste nun natürlich die doppelte Menge an Menschen aufnehmen, es wurde richtig eng, aber zwei Stationen weiter war unsere Reise sowieso zuende. Wir hatten noch Zeit genug, Essen zu gehen und kehrten, ebenso routiniert, im selben Restaurant wie letzte Woche ein. Es war drei Uhr nachmittags, die Hauptmittagessenszeit der Mexikaner, entsprechend voll war das Restaurant. Lauter Schlipsträger saßen dort, es ist dies eine wohlhabende Gegend mit viel „Business“. Zehn Minuten vor vier standen wir vor der Tür der Zahnarztpraxis. Verschlossen. Termin verwechselt? Nein. Ach so, Mittagszeit! Wir warteten, pünktlich um vier erschienen die Helferinnen und ließen uns ein. Es gibt in der Praxis drei Behandlungsstühle, die in offenen Nischen stehen. So wuselt das ganze Geschehen auch während der Behandlung um einen herum. Zwei Stunden später wankte ich mit meinem neuen Stift im Kiefer und 5000 Pesos ärmer wieder aus der Praxis. Hoffentlich hat er das nun alles gut gemacht! Immer noch mit der Übelkeit kämpfend machten wir uns in der Hauptheimkehrphase der Mexikaner auf den Rückweg, standen fast die gesamte Metrofahrt von einer knappen Stunde müde im Gedränge herum und beobachteten das Metro-Leben nur mit mäßigem Interesse. Es gibt etliche fliegende Händler in den Zügen, die Taschentücher, Naschkram oder CDs zu verkaufen suchen. Die CD-Verkäufer haben Rucksäcke bei sich, in denen sie Ghettoblaster, in voller Lautstärke arbeitend, spazierentragen. Jeder/jede von ihnen vertreibt nur eine Sorte,wohl selbstgebrannter CDs, das Stück für 10 Pesos, also ca 50 Eurocent. Diese wird auf dem Ghettoblaster vorgestellt und mit diesem lärmenden Equipment drängelt sich das arme Wesen durch die uninteressierte Menge der heimwärtsstrebenden Menschen. Schwer vorstellbar, wie man von diesem Gewerbe sein Überleben finanzieren kann!
Um halb neun fielen wir erschöpft in die Sitze des 1.Klasse-Busses, der uns wieder nach Cuernavaca brachte. Der Film war schlecht, aber half bei der Überbrückung der Zeit. Nun muss nur noch auf die Abheilung der operierten Gegend gewartet werden und dann können wir endlich wieder auf die Motorräder steigen!

Fr.20.03. Cuernavaca
Cecilia erzählt uns immer wieder interessante Geschichten aus ihrem Leben: In ihrer Jugend wohnte sie mit ihren Eltern in einem schönen Haus aus der Zeit Porfirio Diaz`. Unten lebten die Bediensteten, stand die Kutsche, war die Waschküche, oben lebte die Familie.
Cecilia hatte ein Fenster zur Straße, an dem sie ungezählte Stunden verbrachte, das Treiben auf der Straße beobachtend. Es gab vor dem Haus einen Markt mit vielen Attraktionen, wie z.B. einem kleinen Theaterzelt. Dort wurden allerlei lustige Dinge aufgeführt und Lieder gesungen, die Cecilia von ihrem Fenster aus auswendig lernte. Da es noch wenige Autos gab, gab es auch weniger Lärm und sie konnte alles genau mitbekommen. Sie erzählt, dass sie außer zum Schlafen und für die Mahlzeiten ihren Beobachtungsposten nur selten verließ und viel lernte in dieser Zeit.



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