Mittelamerika Reiseberichte


Mexiko
 
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Sa.21.03. Frühlingsanfang in Cuernavaca
Heute erzähle ich euch mal von Jesus.
Nein, nicht von dem, den man vor 2000 Jahren an das Lattengerüst genagelt hat, sondern von dem kleinen Jesus, der hier mit uns auf dem Grundstück herumläuft. Er ist vier Jahre alt und ist der Sohn von Señora Teresa. Sie ist 47 Jahre alt, hat zwei Töchter, die beide schon über Dreißig sind (rechnet ruhig mal nach, wie alt sie war beim ersten Kind) und bekam vor vier Jahren diesen kleinen Nachzügler, der jünger ist als ihre ersten Enkel. Er kommt immer mit zu Cecilia und ist so ein braves Kind, dass es kaum zu glauben ist. Morgens spielt er draußen, während seine Mutter die alte Dame „betüddelt“ und wird dann zum gemeinsamen Frühstück hereingerufen. Er geht dann zu Doña Cecilia, küsst ihr die Hand und sagt artig: „Buenos dias, Señora Ceci“, bevor er sich still hinsetzt und sein Frühstück isst. Nach dem Frühstück geht er genauso still wieder hinaus und spielt. Dazu hat er auf der Terrasse eine kleine Wolldecke liegen, vielleicht einen Quadratmeter groß. Darauf liegen ein paar Spielautos, mit denen er sich zufrieden beschäftigt.
Wenn seine Mutter ihn aus dem Küchenfenster ruft, springt er sofort auf und läuft hinein. Dann bekommt er etwa den Komposteimer in die Hand gedrückt, den er leeren geht oder eine Mülltüte, die er runter bringt in die Garage, wo die Mülltonne steht. Wenn sie ihm dann ein Glas Milch gibt, trinkt er es in einem Zug leer und geht wieder spielen.
Mittags essen wir meistens alle zusammen. Auch da ist er still und guckt nur interessiert aus seinen lustig blitzenden schwarzen Augen, isst, was seine Mutter ihm vorsetzt und antwortet höflich, wenn er gefragt wird.
Hat er aufgegessen, geht er raus auf seine Decke, legt sich freiwillig hin und schläft für mindestens zwei Stunden. Wenn dann seine Mutter abends wieder mit Cecilia beschäftigt ist, sitzt er friedlich und nichtstuend in der Küche auf einem Stuhl und wartet, bis sie fertig ist und ihn ruft, damit er Gute Nacht sagen kann. Um halb acht abends gehen sie beide nach Hause. So vergeht für ihn Tag um Tag und ich habe ihn noch nicht einmal jammern gehört oder auch nur einen unwilligen Blick wahrgenommen.
Dieses Kind gibt es wirklich! Ich suche schon die ganze Zeit nach irgendwelchen Anzeichen von körperlicher oder seelischer Quälerei, die ihn so gefügig machen würde, aber er wirkt durch und durch zufrieden und fröhlich...

So.22.03. Cuernavaca
Wieder neue Verwandtschaft im Haus. Was ich für ein Glück habe, dass gerade zu dieser Zeit, die wir hier verbringen, so viele Familienangehörige herkommen, die nun auch nicht jede Woche hier die „Abuelita“ besuchen. Die junge Mutter, die uns heute mit Mann und zwei Kindern besucht hat, habe ich als kleines süßes Mädchen von 2-3 Jahren in Erinnerung...
So vergeht der Tag mit vielen Geschichten und fröhlichem Spiel mit den beiden pausbäckigen Kleinen, die schnell auftauen und uns alle zum Lachen bringen.

Mo.23.03. Cuernavaca
Meinem operiertem Kiefer geht es gut, vielleicht können wir zum Wochenende los! Noch ein paar Tage Ruhe, dann zum Zahnarzt zur Kontrolle und dann ab durch die Mitte!

Di.24.03. Cuernavaca
Die Tage verlaufen ohne besondere Ereignisse, und doch ist es interessant. Bei den gemeinsamen Mahlzeiten wird Teresa immer gesprächiger und möchte auch Dinge über Deutschland wissen. Sie ist für uns so richtig die Stimme des Volkes mit ihrem Aberglauben und ihrer bodenständigen Leben. In Mexiko gibt es eine alte Legende von einer jungen Frau, die starb und ihre kleinen Kinder hinterlassen musste. Es heißt, sie käme nicht zur Ruhe und geistere nachts weinend durch die Gegend. Teresa sagt, in der Nähe des Hauses ihrer Schwester sei die „Llorona“ die Weinende, schon häufig gehört worden und das mache ihr, Teresa, soviel Angst, dass sie niemals im Haus ihrer Schwester übernachten würde.
Und sie erzählt von indigenen Dörfern, deren Bewohner so fest zusammenhalten, dass sich nicht einmal die Armee dort hinein traut. Dort herrsche nur das Gesetz des Dorfes und alle rechtlichen Angelegenheiten würden nur dort verhandelt. Mit rigiden Methoden!
Solche Geschichten bekommen wir zu hören und ich lausche gespannt, um Land und Leute ein bisschen besser kennen zu lernen. Mexiko ist schon ein sehr schillerndes Land mit vielen verborgenen Seiten, die für uns nur schwer wahrzunehmen und nachzuvollziehen sind.
Heute habe ich nun das Regiment in der Küche übernommen, um dem gastfreundlichen Haus nicht zu sehr zur Last zu fallen. Der kleine Jesus ist krank, da soll sich mal seine Mutter mehr um ihn kümmern und ich koche uns was. Es gibt ein klares Süppchen, dann Lammfleisch „Provencale“ mit Kartoffeln, Möhren und Zwiebeln, dazu Rote Bete- Salat. Klingt doch gut, oder? Für mexikanische Geschmäcker sehr ungewohnt, aber es kommt gut an.
Es ist heiß heute, Schmetterlinge und viele zwitschernde Vögel erzählen vom Frühling. In einem alten Autoreifen, der am Baum hängend früher den Kindern als Schaukel gedient hat, fanden wir ein winziges Nest mit drei noch winzigeren weißen Eiern.
Am Nachmittag brauen sich gewaltige Wolken auf, die sehr nach Gewitter aussehen. Doch bleibt es während unseres Stadtrundganges, auf dem wir uns unsere tägliche Dosis Autoabgase besorgen, und noch bis in die Abendstunden trocken. Erst dann fängt es tüchtig an zu regnen, ein paar entfernte Blitze leuchten am Himmel auf.

Mi.25.03. Cuernavaca
Wenn wir in der Stadt zu tun haben, gehen wir immer zu Fuß den langen Berg hinunter und fahren mit dem Bus zurück. Inzwischen kennen wir die entsprechenden Buslinien, doch das ist auch so eine Tragödie: nach ein paar Tagen des ständigen Herumfragens nach einem Bus, der uns von A nach B bringen würde, kamen wir auf die Idee, uns einen offiziellen Plan der Buslinien zu besorgen. Bei der Touristeninfo, dachten wir, müsste es so etwas geben. Diese befindet sich auf dem Zocalo und besteht aus zwei hilfsbereiten Polizisten, die Auskünfte erteilen. Von ihnen erfuhren wir, dass es tatsächlich in dieser großen Stadt mit ihren vielen Buslinien keinen geschriebenen Fahrplan gibt! Das Einzige, was der Touristenpolizist, wie er sagte, nach langem Kampf endlich bekommen hat und was er uns zeigte, war eine auf DIN A4 Papier gedruckte Version der Fahrstrecken der einzelnen Busse. Der erste Schritt ist also getan, doch der zweite, eigentlich logisch und einfache Schritt, diesen Prototypen verkleinert zu kopieren und den vielen fragenden Touristen und ebenso unwissenden Einheimischen auszuhändigen, findet nicht statt. Selbst die Busfahrer können keine genaue Auskunft geben, mit welcher Linie man wo hinkommt! Dazu kommt, dass einige Linien auch noch in verschiedenen Versionen vorkommen, man also den Busfahrer noch fragen muss, welche der Varianten er gerade abfährt. Rätselhaftes Mexiko...
Dieses Land steht irgendwie sehr zwischen den Welten: einerseits wirkt es wie ein hochentwickeltes Land mit aller Technologie der Neuzeit, jeder läuft mit einem modernen Handy herum, man kleidet sich in der neuesten Mode etc, auf der anderen Seite herrscht Aberglauben, Vetternwirtschaft und ein Denken, das über den eigenen Tellerrand nicht einen Millimeter weit hinausgeht.
Dazu ein Beispiel aus dem Gesundheitswesen, das in unserer Familie gerade aktuell ist: Der Sohn meiner Tante Marlene, knapp 40 Jahre alt und selbst von Beruf Arzt, hatte vor sechs Wochen einen unverschuldeten schweren Motorradunfall. In den ersten Wochen hatte er mit einer schweren Lungenentzündung zu kämpfen, an der er fast gestorben wäre und konnte nicht an seinen kaputten Knochen operiert werden. Rund um die Uhr war seine Familie bei ihm, um die Pflege zu unterstützen. Nun konnte er endllich vor einer Woche operiert werden, ist aber noch schwer pflegebedürftig, hängt an vielen Schläuchen und Kabeln. Inzwischen hat die Familie beschlossen, zwei private Pflegekräfte einzustellen, da die pflegerische Versorgung in der Klinik (man bemerke, es handelt sich um ein staatliches Krankenhaus mitten in der Hauptstadt!) in der Woche schlecht und am Wochenende überhaupt nicht funktioniert. Es gibt keine Ansprechpersonen, alle medizinischen Antworten muss man den Ärzten bröckchenweise abringen, niemand weiß, ob die Medizin schon verabreicht wurde oder nicht, einfach katastrofal!
Und nun gibt es diese beiden Pfleger, bei der Armee ausgebildet, und sie tauschen sich nicht miteinander aus. Morgens geht der Nachtschichtpfleger nach Hause ohne Übergabe, immer noch weiß niemand: hat er die Morgenmedizin gegeben oder nicht?
Dann geht der Tagespfleger frühstücken und kommt über mehrere Stunden nicht zurück, ohne sich abzumelden...
Dass die Familie mit dieser Situation überfordert ist, lässt sich leicht vorstellen. Und es handelt sich hier um eine Familie des Bildungsbürgertums mit, mindestens geringen, Möglichkeiten der Selbsthilfe. Und der Verunfallte ist selbst Arzt und hat sogar in dem Haus, in dem er nun liegt, seine Ausbildung gemacht! Wie ausgeliefert der täglichen Willkür müssen erst die Menschen des "einfachen Volkes" sein. Sowieso muss die Familie nun die gesamten Kosten für den Hubschraubertransport, den Krankenhausaufenthalt etc tragen, denn der unfallverursachende Trucker hat sich aus dem Staub gemacht oder die Polizei bestochen, ist jedenfalls nicht haftbar zu machen. So funktioniert es hier... Mehr davon? Dann hier noch etwas darüber, wie man in diesem Land zu einem Job kommt: wir trafen vor zwei Wochen im Hostel einen netten Schweizer, der sich vor einem Jahr anlässlich eines Mexikoaufenthaltes in eine junge mexikanische Ingenieurin verliebte und darum jetzt jede Möglichkeit nutzt, hier zu sein. Von ihm erfuhren wir, dass der übliche Weg, in eine staatliche Anstellung zu gelangen, der ist, dass man in der entsprechenden Institution auf die Suche nach einem Angestellten des gleichen Familiennamens geht. Diesen gibt man dann, ob verwandt oder nicht, nach Zahlung eines gewissen Geldes, als Referenz an und zahlt eine weitere hohe Summe für die Einstellung an den Chef der Einrichtung. Ist man dann erst drin in der Behörde, hat man quasi ausgesorgt, denn rausgeschmissen wird man praktisch nie. Egal, ob man gute Arbeit macht, oder auch überhaupt zur Arbeit erscheint.
So ist es für arme Leute fast unmöglich, in eine gute Stellung zu kommen, denn man kann das Eintrittsgeld gar nicht aufbringen. So bleiben die Gesellschaftsschichten unter sich, wie praktisch für die Privilegierten! Von solchen Geschichten könnte ich inzwischen viele erzählen, die uns zu Ohren gekommen sind, aber ich denke, für den allgemeinen Eindruck reicht es erst einmal. Wir freuen uns, dass wir durch den etwas längeren Aufenthalt und die direkteren Kontakte zu Menschen der lokalen Bevölkerung die Möglichkeit haben, das "wahre" Gesicht dieses faszinierenden Landes hinter der schillerndbunten Fassade besser kennenzulernen.

Do.26.03. Cuernavaca, Ausflug nach Mexiko
Mein letzter Besuch beim Zahnarzt lag heute an, dafür musste ich notgedrungenermaßen noch einmal in die Stadt fahren. Der erste Bus, den ich versuchte, anzuhalten, übersah mich, der zweite Busfahrer schüttelte mit dem Kopf und fuhr weiter- das fing ja gut an!
Ich nahm ein Taxi, handelte den Fahrer von 30 auf 25 Pesos runter und ließ mich zum Terminal fahren, um kurz darauf im Bus den Berg wieder hinauf zu fahren. Was für ein Blödsinn! Schon hatte ich eine Stunde Zeit verloren und konnte meinen Plan, vor der Mittagspause der Praxis dort anzukommen, begraben. Etwas versöhnt wurde ich durch den Anblick der schneebedeckten Vulkane Popocatepetl und Izhcazihuatl, die ausnahmsweise heute ihre Kegel aus der Dunstglocke streckten.
Die übliche Strecke mit der Metro, umsteigen in Tacuba, die langen Treppen in Polanco hinaufkeuchen, kein Mexikaner erledigt das routinierter als ich! Und da es jetzt sowieso schon Mittagspause war, gönnte ich mir auch eine solche, kaufte mir ein paar totgewürzte Hühnerflügel und eine große Schale Fruchtsalat, dazu eine Flasche Wasser, und setzte mich in den nächsten Park zum Essen. Auch darin unterschied ich mich nicht von den hier ebenfalls mittagessenden Mexikanern.
Dort saß ich eine ganze Weile, aß und las im mitgebrachten Buch, bis es endlich vier Uhr wurde und ich zum Zahnarzt gehen konnte.
Und wie es häufig passiert, dauerte der eigentliche Grund für meine Tagesreise, die zahnärztliche Visite, höchstens drei, na gut, vielleicht vier Minuten. Dann war ich wieder auf der Straße, mit dem Segen des Herrn Arztes zur Weiterreise ausgestattet.
Wieder zurück mit der Metro, kurz vor Sonnenuntergang fuhr ich mit dem Bus wieder aus der Stadt und Richtung Cuernavaca. Ein schöner rosadunstiger Abendhimmel entschädigte mich etwas für den vergeigten Tag, die Vulkane waren allerdings nicht mehr zu sehen. Als ich in Cuernavaca aus dem Bus aussteigen wollte, musste ich feststellen, dass der Busfahrer in der letzten Woche wohl ein besonders kulanter gewesen ist, dass er uns in der Nähe unseres Hauses aussteigen ließ. Der heutige Fahrer schüttelte nur mit dem Kopf, als ich ihn, während er sowieso an der Ampel anhielt, bat, die Tür für mich zu öffnen. Es sei hier keine Haltestelle, ich müsse bis zur nächsten mitfahren. Als ich endlich rausdurfte, musste ich fast einen Kilometer wieder den Berg hochlaufen, im dicksten Feierabendverkehrsgestank. Pendejo!
So endet mein heutiger Bericht und auch unser Aufenthalt in Cuernavaca, denn morgen satteln wir und reiten weiter, nach drei Wochen in dieser "Stadt des ewigen Frühlings", wie sie genannt wird. Wenn man sich die Autos mal wegdenkt, ist da auch was dran! Wir freuen uns sehr, endlich wieder durch die Landschaft fahren zu können und wieder Reisegeschichten zu erleben, wenn auch die Zeit hier sehr interessant war und für mich einige "neue" Familienmitglieder gebracht hat. Aber "es brennt in unseren Reiseschuhen, fort mit der Zeit zu schreiten..." und das tun wir nun!



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