Südamerika Reiseberichte

Chile
 
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Mittwoch,19.03. - Angol
Das gestrige Abenteuer setzte sich bis in den Abend fort: Thomas fand tatsächlich eine Tankstelle zum Aufpumpen des Reifens, für einen neuen Schlauch mussten wir dann aber doch die 30km bis Angol zurückfahren. Die Luft im Reifen hielt vorläufig, doch in Angol angekommen hatten die Geschäfte schon geschlossen und wir mussten in Stadtnähe einen Schlafplatz finden. Einen Campingplatz gibt es hier nicht, so folgten wir einer Wegbescheibung zu einem Park ausserhalb, den wir allerdings nicht fanden. Stattdessen fanden wir eine Wiese, auf der weitausladende niedrige Walnussbäume standen. Unter einem von ihnen bauten wir das Zelt auf, als es schon dunkel wurde und verschwanden wegen massenhaft vorhandener Mücken sofort hinein.
Kurze Zeit später bellten plötzlich zwei Hunde rund ums Zelt und ein Reiter mit blendender Taschenlampe rief uns zu, was wir denn hier täten. Dies sei Privatland und nicht zum Campen zugelassen, sein Dueño, der Besitzer, würde das nicht erlauben. Er sei der Nachtwächter und für die Unversehrtheit des Grundstückes verantworlich. Ich erklärte ihm, warum wir dort zelteten und er ließ sich erweichen, uns den Aufenthalt über Nacht dort zu genehmigen. Es gab nur die Bedingung, spätestens um 7 Uhr morgens zu verschwinden.
Wir stellten unseren Wecker auf 5:30, schlugen alle Mücken im Zelt tot und schliefen fast augenblicklich ein.
Als der Wecker klingelte, war es noch stockdunkel. Als wir um 7 Uhr losfuhren, immer noch. Auf dem Holperweg zurück zur Straße sprang uns der Nachtwächter mit heftig bellendem Wachhund an der Leine in den Weg, um uns eine andere Möglichkeit zu zeigen, vom Grundstück zu fahren, der nicht am Wohnhaus der schlafenden Eigentümer vorbeiging. So standen wir in der Morgenkühle und Dunkelheit am Stadtrand und überlegten, was wir mit dem angebrochenen Tag anfangen sollten. Erstmal frühstücken - aber wo?
Wir setzten uns auf eine Bank im Laternenschein in einer Vorstadtplaza und kochten uns einen Kaffee, machten halt unser normales Frühstücksritual ( es fing währenddessen an zu nieseln..), genau beobachtet von einer hübschen, wenn auch etwas verwahrlosten jungen Schäferhündin, die mich sehr an Joaquina erinnerte.
Viele Kids in ihren Schuluniformen kamen vorbei und wunderten sich über uns, bevor sie in der benachbarten Schule verschwanden. Einer der Lehrer kam vorbei zum Gucken, freute sich über eine Einladung zum ConnetingKids-Projekt...
Zur Ladenöffnungszeit fuhren wir ins Zentrum, um einen Moto-Ersatzteile-Laden zu suchen. Als ich irgendwo anhielt, um zu fragen, stellte sich heraus, dass wir direkt vor dem Ziel standen. Wer uns da wohl hingeführt hat?
Als ich etwas später vor der Post auf Thomas wartete, wurde ich von einem Radioreporter, dem die Motorräder wohl aufgefallen waren, um ein Live-Interview gebeten...
Nach der fälligen Internetsitzung (gratis in der öffentlichen Bibliothek) mussten wir uns mit dem nächsten Kapitel des Horrorromans "die Reparatur einer Videokamera in Südamerika" beschäftigen. Der Stand der Dinge war dieser: nachdem Sony Chile endlich auf meine Anfrage reagiert und um Zusendung des Gerätes gebeten hatte, hatten wir das seit Wochen mitgschleppte Paket in Lonquimay einem Bus nach Santiago übergeben, per Mail die Sendung an Sony weitergegeben und um Rückmeldung bei Ankunft gebeten. Das war vor unserer abenteuerlichen Tour durch die Berge. Nun meldete Sony auf erneute Anfrage, dass das Paket dort noch nicht eingetroffen sei! Das kann doch wohl nicht wahr sein!
Ich fand einen Telefonladen mit einer sehr netten und engagierten Frau, die für mich nun erst bei der Busgesellschaft (ja, das Paket ist hier...Nein, wir liefern nicht nach Hause. Es muss hier abgeholt werden...) dann bei Sony (nein, wir können das Paket nicht abholen. Es muss ins Haus geliefert werden!) und dann wieder bei der Busgesellschaft (Da fällt mir auch keine Lösung ein...Nein, wirklich nicht..) bis zu (...ich könnte es organisieren, dass das Paket zu Sony gebracht wird, als absolut einzigartige Gefälligkeit..., wenn dann die Besitzer des Paketes auf ihrer Reise nach Santiago hierherkommen und meine Auslagen bezahlen...) herumtelefonierte, während sich im Laden die Kundschaft staute. Wie ist man doch auf Reise oft von hifreichen Geistern abhängig!
Das nächste Interview wartete bei den Motorrädern, diesmal die ansässige Tageszeitung ( sollte unter www.renacerdeangol.cl was zu finden sein...).
Noch ein Besuch im Baumarkt, um dort nach einem 12 V Kompressor für die nächsten Reifenpannen zu suchen und dann wollten wir endlich auf die Straße!
Vor dem Baumarkt kam ich ins Gespräch mit zwei freundlichen Männern, selbst Moppedfahrer und an unserer Reise interessiert. Kurzerhand wurden wir von Javier, Elektronikingenieur mit Arbeitserfahrung bei Kässbohrer in Ulm und in einem Skigebiet in der Schweiz und daher recht guten Deutschkenntnissen, und dessen Freund Samuel nach Hause eingeladen, um etwas zu entspannen und evtl. mal zu duschen. Nach kurzem Zögern nahmen wir die freundliche Einladung an und fuhren den beiden hinterher bis zu einer kleinen Gärtnerei außerhalb der Stadt. Dort ergab es sich dann, dass genug Platz im Haus und eine unkomplizierte Gastfreundlichkeit vorhanden war: wir beschlossen, über Nacht zu bleiben. Samuel fuhr einkaufen und kam mit großen Mengen an Obst und Gemüse für Salat zurück, die wir gemeinsam verarbeiteten. Bis uns abends, nach einer gemeinsamen Sichtung vieler unserer Fotos auf seinem großen Fernseher, die Augen zuklappten, hatten wir unsere gesamte Wäsche durch Javiers Waschmaschine gescheucht und etliche Stunden mit interessanten Gesprächen zusammen verbracht. Es ist immer spannend für uns, auch mal die kritischen Fragen stellen zu können und ehrliche Meinungen dazu zu hören.
Dabei zeigt sich z.B., dass die Entwicklung hin zu einem vermehrten Umweltbewusstsein in den letzten Jahren auch in Chile stark zugenommen hat. Es gibt z.B. Ansätze zur Mülltrennung und Recyclage, es fehlt allerdings noch sehr an dem Gefühl für die Eigenverantwortung in weiten Teilen der Bevölkerung.

Donnerstag, 20.03. - Angol
Inzwischen haben wir auch Javiers Frau Jacky kennengelernt, die heute am frühen Morgen mit dem Bus aus Santiago gekommen ist. Dort wohnen sie normalerweise, während die Gärtnerei in Angol, wo die Familie früher gewohnt hat, seitdem die drei Töchter in Santiago studieren bzw. zur Schule gehen, nur noch als Rückzugsort für Javier fungiert. Jacky ist Informatikingenieurin und arbeitet für eine Bank als Programmiererin. Beide arbeiten voll, um ihren Kindern das Studium zu ermöglichen, was hier in Chile sehr teuer ist.
Da nun das Osterwochenende beginnt, wollen sie alle in eine Cabaña ans Meer fahren und dort ihre freien Tage genießen. Wir hatten ein gemütliches gemeinsames Frühstück und fuhren am frühen Nachmittag zusammen in die Stadt, um einen neuen Straßenatlas zu kaufen, weil unserer leider vorgestern verlorengegangen ist. Wie wir schon befürchtet hatten, gab es in ganz Angol keinen zu kaufen, obwohl Javier keine Möglichkeit zu fragen ausließ. Naja, in Santiago werden wir wohl fündig werden, bis dahin müssen wir uns eben so behelfen. Zum Trost gab es ein leckeres Eis und es ging zurück, wo wir uns auch bald verabschiedeten, um noch ein kleines Stück Strecke zu fahren. Javier sagte noch, wenn irgendwas passiere, könnten wir gerne jederzeit zurückkommen, sein Haus sei immer offen und wir dürften einfach hineingehen, auch wenn er nicht dort sei. So unkompliziert und unaufdringlich freundlich - danke, Javier!
Wir fuhren eine Stunde und erreichten den Lago Lanahue, den wir uns als Standort für die Nacht herausgesucht hatten. Die Platzsuche erwies sich allerdings als schwierig, weil der größte Teil des Ufers bebaut und in privater Hand ist. Erst nach Einbruch der Dämmerung fand Thomas auf der wenig bewohnten Südseite des Sees einen kleinen Pfad, der hinunter an den See führte und an einem freien Lagerplatz endete. Beim Schein des aufgehenden Vollmondes bauten wir auf und aßen unser Abendbrot.

Freitag, 21.03. - Lago Lanalhue
Wir fürchten inzwischen die Wochenenden in Argentinien und Chile! Wenn die Leute ausschwärmen, um ihre freien Tage zu zelebrieren, ist es überall laut und unruhig. So auch hier: morgens um halb fünf fingen ein paar Jugendliche irgendwo in der Nähe an, zu rufen und zu schreien und ihr Autoradio zu testen. Irgendwann fuhren sie wieder weg, nicht ohne ihr Auto irgendwo gegenzufahren - sie waren scheinbar nicht nüchtern. Danach war es wieder still, nur die vielen Wasservögel wachten allmählich auf und fingen an zu schreien, nicht weniger laut als die Kids, aber trotzdem weniger beunruhigend. Als ich später ausgeschlafen aus dem Zelt schaute, saß ein junger Bussard auf meinem Topcase und schaute mich erstaunt und neugierig an. Leider erschrak er sich, als ich ihn fotografieren wollte und flog davon. Der Tag beginnt sonnig, heute fahren wir an die Küste.
Kurz vor dem Sonnenuntergang haben wir den Königsplatz zum Übernachten gefunden! Hoch über der Küstenstraße auf ein kleines Plateau mit Blick auf das Meer und die Stadt Tomé hat uns ein kleiner Waldweg gebracht. Weit draußen auf dem Wasser liegen ein paar Containerschiffe vor Anker, auf der Straße rollt der Osterverkehr, die Stadt liegt in wenigen Km Entfernung im Abendsonnenschein - na, klingt doch gut, oder?
Nun hoffen wir nur, dass niemand auf die Idee kommt, hier seine Karfreitagsparty zu feiern und wir bis morgen früh unsere Ruhe haben!
Der Tag war schön, aber auch anstrengend, weil die Küstengegend so stark besiedelt ist. Viele Autos auf der Straße, eine Stadt geht in die nächste über - sowas sind wir nicht mehr gewöhnt. In der Nähe der kleinen Stadt Laranquete begrüßten wir den blauen, glitzernden Pazifik an einem breiten Strand. Wir saßen ein Weilchen dort in der warmen Sonne, sahen dem langsamen Rollen der Wellen zu und beobachteten ein paar Kinder beim Quadfahren. So allmählich wird das Klima so, wie wir es mögen und das zeigt sich auch an der veränderten Vegetation: die ersten großen Palmen sind zu sehen!
In den letzten Tagen sind wir durch große Gebiete mit Eukalyptus- und Pinienplantagen gefahren: Zellulosefabriken verarbeiten riesige Mengen des schnellwachsenden Holzes zu Papier und dafür wurden große Flächen des Primärwaldes in der Küstenkordillere geopfert. Was für ein Irrsinn! Immer noch gibt es Brandstiftung zur Erweiterung der Anbauflächen, die dann mit den Eukas noch viel anfälliger für Brände sind. Vielerorts sieht man verbrannte Flächen, es tut den Augen weh, besonders nachdem wir in der letzten Zeit so schöne Primärwälder gesehen haben und die Biodiversität dort erleben durften. Hier gibt es keine Diversität, nur trockene Monokulturen ohne Tiere...
Wir kamen nach Lota an der "Kohlenküste", wo man noch ehemalige Förderschächte in einer alten Kohlenmine besichtigen kann. Thomas wäre gern mal mit auf 500m Tiefe gefahren und hätte sich da umgeschaut, für mich wäre das nichts: so tief unter der Erde? Buaahh!
Die Stadt selbst zieht sich mit tausenden ärmlicher Häuser und bestialischem Fischmehlgestank über mehrere Hügel hin und macht einen ziemlich verkommenen Eindruck. Wir tauchten einmal hinein, wollten aber nach einer Runde durch die Hafenstadt nur noch weg. Also keine Kohlenminenbesichtigung und auch keine Sichtung des Parkes, der für seine subtropische Flora berühmt ist, sondern Gashahn auf und raus, weiter Richtung Concepcion.
Diese große Stadt war heute um halb sechs schon komplett geschlossen, wahrscheinlich wegen des heutigen Karfreitages. Nicht einmal ein Internetcafe war zu finden! Zum Glück waren die meisten Wochenendreisenden wohl schon gestern aus der Stadt geflohen, so war der Verkehr gemäßigt und wir waren schnell auf der anderen Seite wieder raus. Und nun sitzen wir hier auf unserem schönen Platz, die Sonne ist mittlerweile untergegangen, die Lichter der Küste glitzern unter uns und um uns herum, Möwen kreischen.
Und weiter geht es die Küste hinauf, wo wir in ein paar Tagen Valparaiso und, wegen wichtiger Besorgungen auch die Hauptstadt Santiago aufsuchen werden. Davon dann mehr beim nächsten Mal.



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