Südamerika Reiseberichte

Chile
 
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Donnerstag, 17.04. - Vicuña
Durch das grüne Elquital, an dessen Seiten die Berge langsam immer höher wurden, erreichten wir 62km hinter La Serena die kleine Stadt Vicuña und dort das Hostal "Donde Rita", das uns empfohlen worden war. Rita und ihre Schwester, in Chile auf-gewachsene Töchter einer deutschen Auswandererfamilie, leben hier seit 11 Jahren, wegen des Klimas, wie sie sagen, und haben hier eine richtig schnuckelige Herberge aufgebaut: Drei gemütliche Zimmer mit europäischem Standard (hier hat sogar jeder eine eigene Nachttischlampe!), ein Balkon zum Garten mit Pool und Palmen, morgens ein herzhaftes Frühstück, das lassen wir uns gerne gefallen.
Wir stellten die Motorräder in den Hof und nahmen den nachmittagssonnigen Balkon für unser Abendbrot in Beschlag, bevor wir einen Spaziergang durch den Ort unternahmen.
8000 Einwohner hat Vicuña, es kennt also jeder jeden, eine schöne Plaza mit altem Baumbestand und einer der hier üblichen Holzkirchen bildet den Ortskern, gleich daneben fanden wir das Büro, das für das hiesige touristische Observatorium zu-ständig ist.
Gleich für heute Abend meldeten wir uns zur Führung inklusive Transfer an, um 20:30 sollte es losgehen. Ca 20 Minuten dauerte die Fahrt im Minibus bei Mondenschein, die englischsprachige Führung begann am 12 Zoll-Teleskop, wo Luis, der Guide, uns erstmal mit Mars und Saturn persönlich bekannt machte. Jeder durfte durchs Rohr schauen und die typische Form des Saturns mit seinen Ringen und Monden entdecken. Dann guckten wir uns etwas auf der Mondoberfläche um und erfuhren allerhand über verschiedene Sternbilder, sehr interessant und nett pointiert dargeboten.
Im zweiten Teil der Führung gingen wir hinaus in die mondhelle Nacht und konnten durch ein kleineres Teleskop weitere Entdeckungen am Himmel erleben.
Ein kleiner Lichtpunkt im Süden entpuppte sich so als Cluster von einigen hundert Sternen, ein anderer war als Spiralnebel zu erkennen. Wir erfuhren, dass Sirius ein junger Stern ist, was man am bläulichen Licht erkennen kann, wohingegen ein Stern aus dem Orion, Beteigeuze, in absehbarer Zeit seinem Sterntod entgegensieht und zum roten Riesen explodieren wird.
Luis zeigte mit einem langen grünen Finger aus Laserstrahlen in den Himmel: es sah aus, als könne er die Sterne damit fast berühren. Er zeigte uns den Löwen und den Skorpion, der aufging, als der Orion (Schütze) unterging und untermalte alles mit lustigen Geschichten.
Während wir staunend schauten und lauschten, fielen Sternschnuppen vom Himmel, der Mond schien auf die kahlen Berge - es war einfach fantastisch!
Zuletzt sahen wir am Computer im Gebäude noch einige Simulationen über Kometen und konnten Fragen stellen, dann wurden wir mit dem Minibus wieder in den Ort gefahren und gingen erfüllt und still in unser Hostal zurück.

Freitag, 18.04. - Vicuña
Heute kam eine Mail von Sony: die Kamera ist fertig!! Nun wird alles gut... Rita war so freundlich, bei Sony anzurufen, um die Zahlung per Kreditkarte vorzunehmen - es funktionierte nicht, unsere Visakarten wurden nicht akzeptiert. Nächste Möglichkeit Bareinzahlung bei der Bank - ging nicht, weil es in Vicuña nur eine "Banco del Estado" gibt, die aber nicht zur "BCI" überweisen kann... verdammt noch mal, kann denn hier mal irgendwas funktionieren??
Den ganzen Tag versuchten wir, eine Möglichkeit zu finden, die Kamera schnell zu bezahlen und hierher schaffen zu lassen - es gab keine, denn es steht ja mal wieder das Wochenende vor der Tür. Und wir wollten doch morgen über den Pass fahren!! Rita, als Chile-Erfahrene, schlug vor, wir sollten doch lieber mit dem Bus noch mal nach Santiago zurückfahren und die Kamera selbst abholen. Nach einigem Winden entschlossen wir uns schweren Herzens dazu, diese einzig sichere Möglichkeit in Kauf zu nehmen und die Sonntagnacht im Bus zu verbringen. 7-8 Stunden braucht der Bus für eine Strecke, am Montagabend können wir wieder zurück sein. Der ganze Spaß kostet pro Nase 12000 CLP, also ca. 17€. Die Motorräder dürfen bei Rita stehen bleiben, sie besorgt uns die Tickets, danke Rita!!
Am Abend setzte sich Rita noch lange zu uns, wir tranken ein Bierchen und sie er-zählte viele interessante Geschichten aus ihrem Leben und aus dieser Gegend. Eine davon will ich hier weitergeben - die Geschichte des Dorfes Gualligua...(ich konnte mir den Namen leider nicht merken):
Schon seit den fünfziger Jahren des 20.Jh. bestand der Plan für einen Stausee in der Nähe Vicuñas. Er sollte der Sicherstellung der Bewässserung für die großen Obst- und Traubenplantagen dienen. Eins der Dörfer, dessen Existenz so über Jahrzehnte durch diesen Plan bedroht war, war eben dieses Gualligua.... Da niemand wusste, ob und wann dieser Stausee entstehen würde, konnten die dort lebenden Menschen nicht in die Zukunft planen und so verkam das Dorf mehr und mehr. Dieser Zustand zog sich lange hin, bis in den 90er Jahren tatsächlich der Staudamm gebaut wurde und der Wasserspiegel langsam stieg.
Mit der Unterstützung eines menschenfreundlichen Personalchefs des großen Pisco-produzierenden Betriebes der Region setzten die Bewohner Gualligua... durch, dass sie ein neues Dorf nach ihren Vorstellungen oberhalb des geplanten Wasserspiegels bekamen. Jede Familie erhielt ein gleichgroßes festes Haus mit einem kleinen Grundstück für Garten oder eine Vergrößerung des Hauses auf eigene Initiative (ursprünglich 42qm für eine 4-köpfige Familie), die kleine Kirche des alten Dorfes wurde abgebaut und wieder aufgebaut und so zogen die Bewohner Stück für Stück in ihr neues Dorf mit den selbst ausgesuchten Straßennamen.
Die Verteilung der Häuser wurde ausgelost: die Nr 1 durfte sich die Nachbarn aussuchen, dann die Nr. 2 etc.. Während die ersten Familien schon "oben" wohnten, blieben einige in ihren alten Häusern, bis ihnen quasi das Wasser bis zum Hals stand.
Manche besuchten das alte Dorf noch häufig und bemalten ihr ehemaliges Zuhause mit Abschiedsbildern und Sprüchen, andere wollten nicht mehr sehen, wie es dort so verlassen aussah, weil es ihnen zu sehr weh tat. So ging jeder auf seine Weise mit dem Abschied um und irgendwann versank das alte Dorf in den Fluten des Stausees.
Inzwischen hatte eine Familie in dem neuen Gualligua einen kleinen Laden eröffnet, es hatte sich ein Dorfrat gebildet, es wurde ein Museum eröffnet.
Als Höhepunkt des neuen Lebens bekam das neue Dorf den Titel "erstes Dorf des 21.Jahrhunderts", worauf alle Bewohner sehr stolz sind.
Eine Untersuchung durch eine Schweizer Studentin ergab, dass viele Bewohner des neuen Dorfes recht zufrieden sind mit der Entwicklung, da sie teilweise eine Verbesserung der Wohnsituation bedeutet. Auch haben viele Menschen festgestellt, dass sie durch Eigeninitiative etwas für sich verändert haben, auch wenn sie das Staudammprojekt nicht verhindern konnten.
Ende gut - alles gut? Das Wasser des neuen Stausees steht ihnen leider nicht zur Bewässerung ihrer Gärten zur Verfügung, die viel versprechenden Wasserhähne außen an ihren Häusern sind trocken. Die Wasserrechte sind streng in Aktien aufgeteilt, an denen nur die großen Betriebe partizipieren.
Der Krieg um das Wasser hat hier schon lange begonnen...

Sonnabend, 19.04. - Am Abend nahe Horcon
Um die Wartezeit nicht so teuer werden zu lassen (Hostalzimmer) und noch etwas von der Gegend hier zu sehen, machten wir uns am frühen Nachmittag auf den Weg weiter durch das Elquital. In einem Seitental, wo das Dorf Monte Grande zu finden ist, das Zentrum der Esoterikszene hier, wollten wir uns etwas umsehen. Sehr schöne Landschaft, hohe Pastellberge, schmales grünes Flusstal. In Monte Grande wollten wir auf der Plaza einen Kaffee trinken, den gab es aber leider nicht. Als wir weiterfuhren, war mein Hinterrad platt. Wie jetzt?
Zum Glück stand ich genau vor einer schön gepflasterten Grundstückseinfahrt (die einzige plane Fläche in der Nähe) mit etwas Schatten... Inzwischen sind wir recht schnell mit dem Aufbocken, Radausbau, Mantel von der Felge hebeln: ein Flicken hatte sich gelöst.
Hätte ich doch beim Reifenwechsel den neuen Schlauch einbauen sollen? Ich mochte den extradicken Elefantenschlauch nicht wegwerfen. Nun schneiden wir ihn auf und legen ihn unter den neuen.
Mit dem Kompressor war auch schnell wieder Druck aufgebaut und bald konnten wir weiterfahren. Leider war es nun trotz schneller Arbeit schon recht spät und wir muss-ten schon wieder in Kürze einen Zeltplatz finden.
In dieser kahlen Gegend ist es nicht leicht, sich irgendwo zu verstecken und das Flussufer, wo die einzigen Bäume zu finden sind, ist in festen Händen. In der Dämmerung fanden wir ein offenes Tor am Ende des Tals, dort stand was von Cabañas, wir fuhren auf Verdacht hinein.
Eine Frau erwiderte auf meine Frage, ob man hier irgendwo zelten könne, ja, sie hät-ten ein Plätzchen für uns und führte mich ein schattiges Treppchen hinunter zum Flüsschen. Dort haben sie Platz für ein Zelt, einen schiefen Tisch, eine Feuerstelle und einen eigenen kleinen Strand am kalten Wasser. Wie schön! In Minutenschnelle stand das Zelt und wir machten uns im Dunklen ans Essen kochen, genau beobach-tet von zwei großen freundlichen und sehr gierigen Hunden (sie fraßen sogar Blumenkohlblätter!).
Ein Lagerfeuerchen rundete den Abend ab und wir durften mal wieder mit Wasserrauschen als Gutenachtlied einschlafen.

Sonntag, 20.04. - Monte Grande
Da wir erst heute Abend in Vicuña und beim Bus nach Santiago sein müssen, trödeln wir bis mittags am Fluss herum und erfreuen uns des schönen Platzes. Im Schatten der Trauerweiden ist es sehr angenehm, denn die Sonne brennt heute sehr heiß. Nach einem kurzen Plausch mit der Besitzerin, die vor sieben Jahren mit ihrer Fami-lie aus Pucón hierher gezogen ist, schlendern wir gemütlich über die Sandstraße wieder zurück bis nach Monte Grande. Dort sitzen wir nun in einem Restaurant mit schöner Terrasse, um uns einen Salat zu Gemüte zu führen und den schönen warmen Tag zu genießen.
Abends um 21:45 Uhr sitzen wir im geräumigen neuen Doppeldeckerbus nach Santiago und versuchen zu schlafen.

Montag, 21.04. - Vicuña
Knappe 24h später haben wir 1100km Busfahrt und einige Wege in Santiago hinter uns und sind wieder "zuhause" bei Rita. Die Nacht im Bus war erstaunlich angenehm. Da der Bus fast die ganze Strecke über die Autobahn rollte, schaukelte es kaum und wir konnten relativ gut schlafen. Um sechs Uhr morgens wurden wir in der kalten dunklen Stadt ausgespuckt und mussten die Zeit bis zur Öffnung der Metro auf dem Busbahnhof überbrücken. Wir nutzten die Zeit zum Frühstücken auf einer Wartebank und machten uns dann auf die Socken. Die Metro war so voll, dass wir nach zehn vorbeigefahrenen Sardinenbüchsen beschlossen, erstmal in die andere Rich-tung zu fahren und uns dann am Anfang der City in einen leeren Zug zu setzen. Das klappte gut und wir fuhren als erstes zu Sony und holten die Kamera ab! Tatsächlich! Und sie funktioniert! Kaum zu glauben, dass wir das noch erleben dürfen!
Bis mittags rannten wir durch die Stadt und machten noch ein paar Besorgungen (wenn man schon mal da ist...), um 13 Uhr saßen wir wieder im Bus und fuhren bei grauem Himmel zurück gen Norden. So am Tage war die Zeit ja doch recht lang, aber es gab genug Landschaft zu sehen und mit etwas Musik im Ohr war es auszuhalten. Erst auf den letzten 60km zwischen Serena und Vicuña, wo es kurvig am Fluss entlang geht, schien es uns, als sehne sich der Busfahrer nach seinem Feierabend (was man ja verstehen kann). Jedenfalls fuhr er ziemlich forsch und wir hatten beide mit Übelkeit zu kämpfen, die sich erst nach einer warmen Suppe zuhause wieder beruhigte.
Rita begrüßte uns dort freudig und sagte, sie habe den ganzen Tag über für uns gebetet, damit alles gut klappen möge. Das hat eindeutig geholfen - danke, Rita!
Ein langer Tag - wie schön, nun ein bequemes Bett vorzufinden! Rita gab uns sogar noch für jeden eine Wärmflasche, weil es, wie sie sagte, nachts ja recht kalt ist und man leicht friert, wenn man sooo müde ist.
Wir genießen es heute mal wieder, so umsorgt zu werden.

Dienstag, 22.04. - von Vicuña zum Stausee La Laguna
Wie kommt es nur, dass es immer so lange dauert, bis wir auf den Motorrädern sitzen?
Irgendwie wurde es heute schon wieder früher Nachmittag, bis wir uns Richtung Pass auf den Weg machten und durch das Elquital gen Osten fuhren.
Das Tal wurde enger und enger, die Plantagen weniger, bald bestand der Talgrund nur noch aus dem kleinen Fluss mit seinem schmalen Grünstreifen und einer Kieswüste, aus der die hohen Berge emporwachsen. Und je weiter wir kamen, desto farbiger wurden sie, einfach unglaublich!
Die Teerstraße ging bald in Schotter über, an dem kräftig gebastelt wird und dann kamen wir auch schon zu dem großen neuen Grenzgebäude der chilenischen Seite auf einer Höhe von 2100m und regelten den üblichen Papierkram.
Der Grenzpolizist fragte, ob wir so spät noch bis auf die argentinische Seite fahren wollten und als ich dies verneinte, malte er mir eine nette Skizze zu dem empfohle-nen Übernachtungsort an der Lagune. So richtig mit Wassertropfen und kleinen Häu-schen, reizend!
Noch 30km bis dorthin. Bei sinkender Sonne erreichten wir die aufgezeichneten Häuser, in denen ein paar Männer wohnen, die hier für den Wasserstand zuständig sind und ihre Zweiwochenschicht schieben. Sie sollten wir wegen des Schlafplatzes fragen. Gleich wurden wir zu Kaffee und Brötchen eingeladen und über Deutschland und unsere Reise befragt.
Man bot uns an, in einem freien Raum zu nächtigen, aber wir zogen das Zelt unter dem klaren Himmel vor. Neben uns rauscht nun der Anfang des hier aufgestauten Rio Elqui vorbei, der unten im Tal all die Weinplantagen tränkt und bei Serena ins Meer fließt. Hier wird sein Wasserstand mit einer breiten Staumauer und einer Betonabflussrinne reguliert. In diesem und dem zweiten Stausee nahe Vicuña wird genug Wasser für vier trockene Jahre gespeichert, erfuhren wir hier.
Nun sind wir schon auf 3100m Höhe und merken das an leichtem Schwindel und heftigen Blähungen. Bisher benehmen sich die Moppeds gut, mal schauen, was sie - und wir - morgen bei 4700m sagen.
Nach Einbruch der Dunkelheit waren wir noch mal eingeladen, das selbstgebackene Brot zu kosten, was sie sich hier, mangels Bäckerei in der Nachbarschaft, selbst zubereiten.
Als wir den Raum betraten, stand dort Nelson, der Zuständige fürs Brot in weißer Plastikschürze und weißem Bäckerkäppi am Tisch und formte die hier üblichen UFO-Brötchen (sie sehen aus wie fliegende Untertassen). Er sah sehr lustig aus in dieser Verkleidung und ließ sich bereitwillig von mir fotografieren. Wir hatten unseren ‚Bai-leys-Ersatz' als unseren Beitrag zum Abend mitgebracht und saßen ein Stündchen mit vor dem Fernseher im gut geheizten Raum und schauten gemeinsam eine schlechte chilenische Telenovela (Daily soap), bevor wir uns in die mondbeschienene Nacht zurückzogen.
Es ist kalt draußen, aber wunderschön. Die kahle Berglandschaft im sich verändernden Schein des aufsteigenden Mondes hat eine ganz spezielle Atmosphäre. Die wandernden Schatten der Felsen, einzelne Mondlichtfinger, die zwischen den Bergkuppen durchscheinen, alles wirkt sehr plastisch und wie von einem stillen Leben erfüllt. Darüber der klare Sternenhimmel - wie schön ist diese Welt und was haben wir für ein Glück, dass wir diese Schönheit erleben können!

Mittwoch, 23.04. - über den Paso de Aguas Negras
Was für ein Tag! Wir sind noch ganz high von der großen Höhe und all den Eindrücken der heutigen Fahrt. Der Reihe nach: nachts konnten wir nur wenig schlafen, weil das Herz so bubberte in der dünnen Luft, wachten dann aber doch ausgeruht auf und gingen beizeiten zu un-seren Gastgebern zum Frühstück ins warme Haus.
Während wir gemütlich zusammen aßen, erzählten Nelson und German von ihrer Arbeit hier oben: sie sind für das Aufnehmen der Wasserstände, der Lufttemperatur, evtl. Niederschläge etc. zuständig und regeln nach Order die Abflussmenge des Stausees. So haben sie ein recht gemütliches, wenn auch einsames Leben während ihrer Schicht. Beide arbeiten in den Freiwochen noch woanders, um sich etwas dazu zu verdienen, obwohl sie sagen, man könne von dem Gehalt hier überleben. Nelson macht diesen Job schon seit 31 Jahren!
Im Winter, wenn der Berg verschneit ist, müssen sie manchmal mit Schneeschuhen die 30km von der Zollstation hier hoch gehen. Mit Schneeschuhen bergauf! Sie brauchen für die Strecke 8-10 Stunden...
Es ist immer sehr spannend, ein Stück weit in ein anderes Leben in einem anderen Land hineinzuschauen!
Nach dem obligatorischen gemeinsamen Foto ging es für uns los zum Pass. 55km bis zum höchsten Punkt in 4780m Höhe. Mir war etwas mulmig, nachdem wir schon die 3100m der letzten Nacht deutlich gespürt hatten.
Komischerweise wurde der Weg immer schlechter, je weiter wir nach oben kamen. So hatten wir nicht nur mit der dünner werdenden Luft und den dadurch müder werdenden Motoren zu tun, sondern außerdem mit heftigem Wellblech, großen Löchern und Weichschotterfeldern auf der einspurigen Strecke am Steilhang. Zu allem Überfluss blies auf dem letzten Höhenkilometer ein kräftiger, kalter Wind.
Aber dies nur nebenbei, ansonsten war der Tag ein Erlebnis der Extraklasse, weil die Berge, an denen wir vorbeifuhren, in den verschiedensten kräftigen Farben leuchteten. Hinter jeder Wegbiegung kam eine neue Farbe ins Spiel, wir kamen vor lauter Fotografieren kaum zum Fahren und brauchten darum für die Bergaufstrecke über eineinhalb Stunden. Alle meine Worte können diese Landschaft nicht beschreiben, also kann ich nur darauf vertrösten, dass es irgendwann viele Bilder davon zu sehen gibt. Bei ca. 4500m begann die Region der Gletscher, die in märchenchlossartigen For-mationen teilweise direkt bis an den Fahrweg reichten.
Auf dem Pass angekommen, waren wir beide höhenlufttrunken, machten schnell die obligaten Fotos mit Schild, wobei wir aufpassen mussten, dass der Wind die Motor-räder nicht umblies, und beeilten uns, wieder bergab und in dickere Luft zu kommen. Dabei muss mal erwähnt werden, dass beide Motorräder die Höhe anstandslos mitgemacht haben. Sie hatten zwar nicht mehr die gewohnte Kraft, aber trugen uns doch sicher auch die steileren Abschnitte hoch! Jolly hatte dabei noch weniger Probleme als Foster, der natürlich auch das meiste Gewicht zu schleppen hat.
Auf ca. 3000m erreichten wir die Gendarmeriestation und baten den Beamten, uns beim Zoll für heute zu entschuldigen, denn wir wollten lieber nicht noch 40km bis zur Zollstation fahren (da zwischen beiden Grenzposten eine nicht ungefährliche Strecke von ca. 160km liegt, müssen beide Seiten immer wissen, wer unterwegs ist und nicht beizeiten angekommene Personen suchen). Der freundliche Gendarm funkte die Zollstation an und beschrieb uns auch gleich einen Platz zum Zelten, nur ein paar hundert Meter entfernt. Das war uns sehr recht, denn wir waren richtig reif für den Feierabend!
Ein netter Ort mit einigen Pappeln, direkt an dem Bach, der neben unserem Weg aus den Bergen geflossen kam und wo wir noch vor dem Sonnenuntergang unser Häuschen bauen konnten. Es war kaum dunkel, da lagen wir auch schon flach und schliefen. Leider nicht lange, denn es fing an zu stürmen und wir mussten raus, um das Zelt vernünftig abzuspannen. Erst kamen nur einzelne heftige Böen, später stürmte es ohne Pause so stark, dass wir Sorge um unser kleines Stoffhaus hatten.
Über unseren Köpfen brauste der Wind dermaßen in den schon herbstlich kahlen Ästen der Pappeln, dass man das ebenfalls laute Rauschen des Baches dagegen nicht hören konnte. An Schlaf war nicht mehr zu denken! Als es endlich hell wurde, schmiedeten wir Pläne, wie wir den Zeltabbau ohne Schäden am Material bewerkstelligen könnten und packten all unsere Sachen zusammen. Dann musste es ziemlich schnell gehen, denn wenn erst die Gewichte aus dem Zelt sind, fliegt es leicht davon, falls die Häringe im Boden nicht halten. Andererseits konnten wir das Gepäck nicht draußen zwischenlagern, weil es ebenfalls weggeflogen wäre. Also versuchten wir, möglichst schnell alles am Mopped zu verstauen und dann in einer Blitzaktion die oberen Schnüre von den Bäumen zu lösen, Thomas löste die Stangen und ich warf mich auf das zusammensackende Zelt, um einen Bruch der Stangen und ein Wegfliegen des Zeltes zu verhindern.
Geschafft! Nun standen wir ohne Haus im Sturm, halfen uns gegenseitig beim restli-chen Packen und machten, dass wir davonkamen. Als wir erst auf der Straße waren, hatten wir den Wind im Rücken. Er blies uns unsere Abgase in die Nasen, aber war keine Gefahr mehr. 20km weiter, als wir aus dem Hochtal herauskamen, war er plötz-lich verschwunden. Die Sonne schien, es war noch etwas kühl, aber von Sturm keine Spur. Merkwürdig!
Scheinbar hat das Tal die Funktion einer Turbine, in die wir ahnungslos hineingera-ten waren.
Erleichtert rollten wir bald auf den Hof des Zollgebäudes und erledigten die argentinischen Formalitäten, fanden dann an der Straße einen kleinen Betontisch mit ebensolchen Bänken und holten ausgiebig das versäumte Frühstück nach. Ich war von der unruhigen Nacht und den Anstrengungen des gestrigen Tages so müde, dass ich im Sand neben der Straße einschlief.
Auf der weiteren Strecke wurde es allmählich immer wärmer, die Landschaft blieb interessant. An einem kleinen Stausee machten wir einen Halt für die tägliche Kör-perpflege, dann ging es, entlang des Rio Jachal, durch stark vom Wind geformte Berge weiter nach Osten bis zu der kleinen Stadt San José de Jachal.
Das Internet war wieder laangsaam - ach ja, wir sind in Argentinien. In Chile gibt es fast überall Breitbandverbindungen durch Fiberglastechnik, in Argentinien ist man noch lange nicht so weit.
Einkaufen konnten wir auch nicht, weil es halb vier Uhr nachmittags war und alle Lä-den erst ab fünf oder sechs Uhr aus der Mittagsruhe erwachen. Na ja, wir kommen heute auch ohne Milch aus...
Weiter auf der alten Bekannten R.40, die hier meist geteert daherkommt.
Richtung Huaco durch relativ grüne, heiße Gegend mit Akazien und Eukalyptusbäumen, nach ein paar Bergaufkurven fanden wir uns in einer kleinen Schlucht, ausgewaschen von einem Flüsschen, das heute nur noch wenig Wasser führt und damit einen weiteren kleinen Stausee speist.
Aufgrund des niedrigen Wasserstandes schauten viele tote Bäume aus dem See heraus. An der Straße fanden wir ein Schild, das auf eine Campingmöglichkeit hinwies: ein großer Platz unter Eukas mit vielen Tisch-Bank-Grill-Kombis, komplett leer, in sehr ruhiger schöner Gegend, joh!

Freitag, 25.04.
Wir erwachten herrlich erfrischt nach einer ruhigen langen Nacht. Ein fröhlich pfei-fender Mann fegte während unseres Frühstückes mit einem Reisigbesen auf dem sicher 3 ha großen Platz herum. Das scheint seine Hauptarbeit zu sein, denn der Platz ist sehr sauber, nur die zusammengefegten Häufchen aus Blättern und Zivilisationsmüll liegen herum. Die Sanitäranlagen auf dem Platz sind typisch argentinisch:
ehemals liebevoll aufgebaut, jetzt verkommen und ungepflegt. Ein Wasserhahn von ehemals fünfen spendet noch Wasser, die anderen sind abgebaut oder kaputt. Die Sonne scheint, weiter geht's, Richtung Chilecito.
Nach einigen Kilometern endete der Teer, es ging auf gutem Schotter durch bunte erodierte Sandsteinhügel, wo schon wieder hinter jeder Kurve ein Fotomotiv lauerte. Dann standen wir plötzlich an einem Mirador (Aussichtspunkt) und schauten in eine verzauberte Landschaft aus roten, braunen und gelben Sandsteinhügeln in den wun-derlichsten Formen, mitten hindurch floss ein kleiner Fluss mit einem grünen Rand-streifen, unbeschreiblich!
Hinab ging es in Serpentinen auf holperigem Schotter, genauso farbig, der nach ca. 10km aber wieder in Teer überging.
Auf den nächsten 50km bis nach Guandaco lief die Straße schnurgeradeaus parallel zu der eben durchquerten Bergkette, in der Ferne rechts voraus tauchte allmählich ein großer schneebedeckter Berg aus dem Dunst auf.
Ein Schild an der Straße wies auf eine "Zona de badenes" hin, das sind Senken, über die nach starken Regenfällen das Wasser abfließen kann. So fuhren wir die ganze Zeit auf und ab, in den Senken konnte ich Thomas, der vor mir fuhr, nicht sehen, dann tauchte er wieder auf und verschwand wieder, sehr lustig. In manchen der Senken lag vom Wasser vergessener Schotter auf der Straße, man musste also etwas aufpassen. Als ich noch darüber nachdachte, wie es sich wohl hier fährt, wenn alle Senken überschwemmt sind, kamen wir an eine, die tatsächlich überflutet war.
Das Wasser war nicht tief, nur war der Schlamm auf dem Teer etwas rutschig.
Zur falschen Zeit erreichten wir Guandaco: die Tankstelle hatte keinen Strom, also gab es auch kein Benzin. Dafür durften wir uns in den Verkaufsraum der Tankstelle setzen für unser Mittagessen. Auffällig waren die leeren Regale, wo sonst immer so einiges an Proviant verkauft wird. Es scheint in Argentinien immer noch zu kriseln: nachdem die Regierung vor kurzem die Exportzölle drastisch angehoben hat, wurde das Land von einer Streikwelle überzogen, die sich stark auf den Warennachschub auswirkte, wie man uns in Chile erzählte.
Die nächste Tankmöglichkeit sei in 45km, sagte uns der Tankwart. Noch haben wir keine Not, also weiter bis Villa Union. Dort gab es Benzin und auch einen Geldautomaten, bloß wieder war nur schwer ein offener Laden zu finden. In den Zeiten, wo wir normalerweise unterwegs sind, ist hier immer Siesta.. Schließlich fanden wir einen rumpeligen Selbstbedienungsladen, der das Nötigste im Angebot hatte. Das bisschen Obst war allerdings schon länger frisch, da sind wir doch aus Chile eher verwöhnt.
Außerhalb der Stadt fanden wir einen Platz unter Bäumen. Es stellte sich allerdings heraus, dass diese lange Dornen haben. Natürlich auch überall auf dem Boden. Wir säuberten den vorgesehenen Zeltplatz gründlich und hoffen nun, dass wir nichts übersehen haben und auch nichts in den Reifen stecken haben.

Sonnabend, 26.04. - Kurz vor Chilecito
Nach 59km Tagesleistung, für die wir ca. 2 Std. gebraucht haben, ist für heute Feierabend, denn wir haben einen so schönen Zeltplatz gefunden, dass wir spontan beschlossen haben zu bleiben. Die Landschaft hierher war so grandios schön, dass wir wieder kaum zum Fahren kamen. Durch die Cuesta de Miranda, eine mal enger, mal weiter werdende Schlucht aus dunkelrotem Sandstein schlängelt sich hier die R.40 als gleichfalls rote, gut zu fahrende, Erdpiste.
Die Hänge sind bewachsen mit grünen Akazienbüschen und vielen großen Kakteen, kleine Bäche überqueren die schmale kurvige Straße, dann und wann mal ein kleines Haus aus Adobe, ungebrannten Lehmziegeln. Könnt ihr verstehen, dass wir kaum über den dritten Gang hinaus kamen, ohne für das nächste Foto anzuhalten?
Und dann fuhren wir über eine große Brücke, die den Rio Miranda überquert und sahen links unterhalb der Brücke einen Platz unter herbstbelaubten Pappeln, mit Tischen und Bänken, einem Törchen zum Fluss und völlig menschenleer - keine Frage, eine Pause muss sein. Und dann war's eigentlich zu schade zum Weiterfahren - drum bleiben wir heute hier.
Es ist erst früher Nachmittag, kann man mal etwas Equipementpflege und Schreibarbeit tun. Hoffentlich kommen nicht heute Abend 50 Argentinier zum Grillen hierher, es ist schließlich Sonnabend!
Wenn das Wetter sich hält, wollen wir in ein paar Tagen über den nächsten Pass wieder nach Chile, denn die Hochanden sind doch sehr spannend und schön!

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