Südamerika Reiseberichte

Chile
 
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Fortsetzung Sonntag, 18.05. - von Mamiña zum Cerro Unita
Da wir wegen des schönen Dorffestes erst am Nachmittag auf den Motorrädern saßen, setzten wir uns nur noch kleine Ziele, lasen die wichtigste Post im Internetcafe in Pozo Almonte und fuhren dann bis Huara auf der Panamericana. Dort bogen wir auf die R.15 nach Osten ab und suchten den einzeln stehenden Hügel Cerro Unita in der wüstenhaften Ebene. Es liegt da wirklich nur der eine Sandhaufen in der Gegend herum, eine kleine Teerstraße führt hin und einmal drum herum, auf der westlichen Seite leicht zu finden der "Gigante de Atacama", eine in den Hügel geschabte menschliche Figur mit einem Federschmuck auf dem Kopf. Mit einer Länge von 86m ist er die größte menschliche Figur, die Archäologen weltweit gefunden haben. Die Umrisse wurden mit vulkanischem Gestein in den Sand gelegt, innerhalb der Umran-dung wurden alle Steine entfernt, sodass dort nur eine Sandfläche zu sehen ist. Von Nahem erkennt man kaum Strukturen, von weiter weg sieht man die Formen sehr gut.
Viel Zeit blieb nicht zum Gucken, denn die Sonne ging unter und wir brauchten einen Platz zum Schlafen. Auf der Rückseite des Cerro Unita war der Weg durch eine Wanderdüne versperrt, dort campierten wir kurzerhand - mit Blick auf die Anden im aufgehenden Vollmond, genial!

Montag, 19.05. - Arica
Nun haben wir tatsächlich die ganze chilenische Länge durchfahren und sind heute in der nördlichste Stadt angekommen. Dazu fehlten heute noch ca. 260km, die sich interessanter darstellten, als erwartet: erst ging es nur geradeaus durch die vegetati-onslose Steinwüste, bis wir ins Reserva Nacional de Tamarugal kamen. Dort wach-sen tatsächlich Bäume mitten in der Wüste. Der Tamarugabaum ist der einzige, der es hier aushält und er schützt seine kleinen Blätter durch ein klebriges Harz. Weiter durch die ebene Wüste ging es, bis sich plötzlich ein kleiner Flusscanyon auf-tat. Die Straße lief auf der einen Seite hinunter, auf der anderen wieder hoch und wieder durch die Ebene. Ein zweiter ähnlicher Canyon tat sich auf, der Fluss trocken, aber mit einem grünen Randstreifen in der trockenen Einöde.
Nach einer Weile eine dritte Abfahrt, aber diesmal in einen richtig großen, mehrere 100m tiefen Canyon. Tief unten am Grund sah man einen kleinen ausgetrockneten Fluss - unvorstellbar, dass dieses kleine Ex-Wässerchen dieses riesige Tal ausgefräst haben soll!
Es ging lange bergab, bis die Straße endlich am Grund des Tals angekommen war. Dann fuhren wir viele Kilometer am Grund des Tales entlang und kamen schließlich zu einem kleinen Ort namens Camarones. Dort begann die Straße wieder zu steigen und führte, immer am Steilhang entlang, wieder auf die Ebene. Auf langen Strecken war der Abhang ungesichert und es ging richtig steil ein paar hundert Meter tief hinab...
Noch ein weiterer Canyon folgte. Bei der Abfahrt ins Tal gab es Notbremsspuren für LKW, die links der Straße durch weichen Schotter ein Stück bergauf führten. In einer dieser Spuren waren Reste eines Trucks zu sehen, dem diese Spur auch nichts mehr genützt hat: er war am hintersten Ende auf einen Bruchteil seiner normalen Länge zusammengefaltet liegen geblieben. Wo es wieder bergauf ging, sahen wir einen anderen LKW, der beim Rangieren rückwärts fast abgestürzt war: der Anhänger hing über die Kante hinab, der Fahrer war nicht zu sehen. Vielleicht war er Hilfe holen gegangen?
Noch 30km, dann ereichten wir Arica. Das erste, was wir sahen, war ein riesiger Knast einige Km vor der Stadt. Dann große Armenviertel, in denen viele Menschen anscheinend sogar in selbstgebastelten Zelten leben. Davor ein Schild: Arica, die Stadt des ewigen Frühlings...
Wir suchten das Hotel, was im Reiseführer empfohlen worden war und checkten ein. Für 12000CLP plus 1000 pro Motorrad für den Garagenplatz (insgesamt ca 20€) sind wir hier gut und zentral untergebracht. Der freundliche Portier half mir auch gleich, einen Zahnarzt zu finden und ehe ich mich versah, saß ich im Colectivo und fuhr in die Klinik, wo der Zahnarzt schon auf mich wartete. Bei der Untersuchung kam mal wieder ein Rezept für Antibiotika heraus, was mir immer noch lieber ist als eine Operation und ich konnte wieder gehen. Abends schlenderten wir durch die Fußgängerzone, dabei fielen krasse soziale Unterschiede auf: große Geschäfte mit allem, was das Herz begehrt und daneben Menschen, die im Müll wühlen oder betteln. Als wir vor einem kleinen Restaurant Platz nahmen, um etwas zu essen, kamen etliche Bett-ler zu uns und fragten nach Geld. Einem bot ich die letzten Stücke Brot auf unserem Tisch an, er nahm sie gierig, meinen abgenagten Kotelettknochen gleich mit, die halbe Flasche Bier dazu, die Thomas ihm anbot, schluckte er in einem Zug leer. Dann bedankte er sich und ging seiner Wege. Immer wieder das Thema Armut und wie reagieren wir auf bettelnde Menschen. Immer wieder schwierig...
Nachdenklich gingen wir ins Hotel zurück und krochen frisch geduscht mal wieder in ein richtiges Bett.

Dienstag, 20.05. - Arica
Morgens waren wir noch recht zielstrebig, standen rechtzeitig auf und gingen in die Stadt, um unseren to-do-Zettel abzuarbeiten. Schläuche kaufen, zur Bank, Geld wechseln, Schulkontakte suchen etc. Als erstes aber zur TouristInfo, einen Stadtplan erfragen. Auf dem Weg stolperte wir über ein Schild mit Bundesadler: ein deutscher Honorarkonsul residiert hier. Den wollte ich fragen, ob er uns den Kontakt zur hiesi-gen Deutschen Schule herstellen würde. Der Herr war noch nicht in seinem Büro, da draußen auf der Plaza eine Veranstaltung war. Dort gingen wir also auch hin. Anläss-lich des Jahrestages einer verlorenen Schlacht im Salpeterkrieg marschierten sämtli-che Schulen mit Musikkapellenbegleitung auf, in ihren Schuluniformen, versteht sich. Ziemlich militärisch, das Ganze. Wir schauten uns die Parade an, um uns die deut-sche Schule herauszufinden und hinterher anzusprechen. Während wir dort standen und schauten, gab es auf einmal einen Tumult: einige junge Leute preschten mit handgeschriebenen Transparenten in die Parade und riefen damit die zahlreich he-rumstehenden Polizisten auf den Plan. Ruckzuck waren die Demonstranten einkassiert und in einen schnell herbeigeholten vergitterten Polizeibus verfrachtet. Die Parade ging nach kurzer Unterbrechung weiter. Ein paar weitere Leute verteilten Flugblätter, auf denen der Grund des Protestes zu lesen war: es ging um den Missstand, dass die gesamte universitäre Ausbildung in Chile privat und daher zu zahlen ist, wodurch die weniger reichen Leute nicht in der Lage sind, ihren Kindern ein Studium zu ermöglichen. Dies erfuhr ich von einem Mann, der in unserer Nähe stand und mir ein Flugblatt reichte mit der Frage, ob ich den Inhalt verstehen würde. Darüber kamen wir ins Gespräch und Ivan, so stellte er sich vor, fing an, mir die Zusammenhänge zu erklären, um die es hier ging.
Wir standen immer noch dort, als die Veranstaltung schon zu Ende war und be-schlossen dann kurzerhand, alle gemeinsam essen zu gehen. Ivan kannte ein typisches altes Restaurant, wo wir für wenig Geld gutes Essen bekamen, dort erzählte er weiter. Als er erfuhr, dass wir morgen schon weiterfahren wollen, rief er seinen Bruder, der ein Auto hat, an und fragte, ob wir dieses leihen könnten für eine Sightseeingtour durch die Stadt. Wir fuhren mit einem Taxi zu seiner Wohnung und holten in der Nachbarschaft das wenig genutzte Auto ab. Thomas war der Chauffeur, da Ivan nicht mehr Auto fahren mag, seitdem er 10 Jahre in Sao Paulo gelebt hat und wir fuhren raus aus der Stadt am Strand entlang nach Süden. Dort fand sich ein wunderbarer felsiger Strand mit Höhlen und natürlichen Tunnels, Torbögen, durch die die Brandung donnert und großen Vogelkolonien, die ihre Nistfelsen mit einer dicken weißen Schicht überzogen haben. Eidechsen flitzten über die Felsen, Pelikane, Möwen, Geier und andere Vögel zogen kreischend ihre Bahnen. Einfach fantastisch, dieser Ort! Später fuhren wir auf den Cerro Morro, einen ca. 200m hohen Berg, der die Stadt nach Süden hin begrenzt. Von oben hat man einen guten Blick über die Stadt und den Hafen, außerdem steht dort das Museum für die entscheidende Schlacht um Arica. Die Stadt gehörte bis dahin zu Peru und wurde damals von den chilenischen Soldaten listenreich erobert. Erstaunlich fand ich die Darstellung dieser Schlacht: man hört nicht ein Wort der Distanzierung von den damaligen Ereignissen, der Tenor ist eindeutig Stolz auf die militärische Leistung und die Freude über das gewonnene Territorium.
Als das Auto zurückgebracht war, verabschiedeten wir uns von Iván und fuhren mit dem Taxi zurück in die Stadt, wo wir ENDLICH ein offenes Geschäft mit unseren Mo-torradschläuchen fanden. Dort gab es sogar einen neuen Transalp-Ölfilter, nicht zu fassen!
Der gute Iván rief uns abends noch einmal im Hotel an, fragte, ob wir bekommen hät-ten, was wir brauchten und wünschte uns eine gute Weiterreise.

Mittwoch, 21.05. - von Arica nach Aldea Truly
Heute ist der wahre Jahrestag der großen Schlacht und darum sind heute alle Läden und Banken zu. So können wir hier nichts bewerkstelligen und fahren weiter. Aus der Stadt heraus ging es Richtung Norden, dort zweigt die R.15 nach Bolivien ab und führt ins Valle Lluta ab, ein breites grünes Flusstal in der Wüste, wo viel Land-wirtschaft betrieben wird. Dort fanden wir, nach nur 40km, einen Hinweis auf einen vegetarischen "Comedor" in einem ökologischen Dorf. Das konnten wir nicht links liegen lassen und folgten dem Wegweiser. Ca. 2km von der Straße entfernt sahen wir einige runde Adobekegel inmitten einer grünen, phantasievoll gestalteten Land-schaft stehen und befanden uns in einer kleinen Krishna-Comunidad, die ökologischen Anbau betreiben, vegetarische Mahlzeiten und Unterbringung in den Adobekegeln oder als Natur-Camping anbieten. Wir schauten uns in dem schönen Ambiente um und bekamen dann ein leckeres vielseitiges Essen serviert, das wir uns schmecken ließen. Da uns der Ort so gut gefiel, stellten wir kurz entschlossen das Zelt hier auf und fahren eben erst morgen weiter. Die Leute sind sehr nett, es gibt einen schönen Kinderspielplatz mit selbstgebauten Holzspielgeräten, ein paar Lamas und Alpakas, Katzen, Kinder, selbstgebackenes Vollkornbrot, einfach nett. Hin und wieder kommen Leute zur Besichtigung, lassen sich die ganze Anlage und den spiri-tuellen Hintergrund erklären und fahren wieder weg.
Eine freundliche Kolumbianerin, die seit einigen Monaten mit ihrem 12-jährigen Sohn hier lebt, zeigte mir den Tempel und erzählte, dass sie zur Zeit die Aufgabe hat, die kleinen Götterpuppen an- und auszuziehen, ihnen morgens Milch zu bringen und sie mit allem zu versorgen, was sie sonst noch brauchen könnten. Diese Rituale dienen der inneren Reinigung, erklärte sie mir. Ich vermute, das gehört zu den Dingen, die jeder selbst erfahren muss, um sie zu verstehen.

Donnerstag, 22.05. - von Ecotruly nach Zapahuira
Als wir uns von den Leuten in Ecotruly verabschiedeten, war es schon früher Nach-mittag. Wir hatten nicht viel Strecke vor: um die erneute Höhengewöhnung nicht zu übertreiben, wollten wir auf 2500-3000m übernachten, das bedeutete höchstens 50km Fahrstrecke. Die Straße führte einige Zeit noch durch das grüne Llutatal, stieg dann in langen Serpentinen, empor an den kahlen Bergen, sehr schnell an. Der gesamte LKW-Verkehr zwischen Bolivien und Chile läuft über diese Straße, die schwer beladenen Trucks kriechen im Schneckentempo den Berg hinauf und hinunter, die meisten der Fahrer hupen freundlich, wenn sie uns sehen. Als wir einen Schlafplatz abseits der Straße gefunden hatten, waren es doch schon wieder über 3100m - na, wenn das mal gut geht...

Freitag, 23.05. - über den Pass nach Bolivien
Die Höhe machte mir doch wieder eine unruhige Nacht mit Tachykardie und Geschnaufe, erst gegen Morgen schlief ich besser. Ich sollte doch besser auf mich hören und die Höhe in kleineren Schritten angehen.
Der Plan für heute ist, über den Pass (4700m) zu fahren und dann soweit wie mög-lich wieder von der Höhe herunter zu kommen. Wenn unsere zweifelhafte Trekkingkarte nicht lügt, müsste es möglich sein, nach ungefähr 250km auf unter 4000m zu übernachten. Viel weiter runter geht es erstmal nicht mehr. Auf den ersten 20km des Tages veränderte sich die Berglandschaft überraschend: nachdem wir bis hierher nur durch Wüste gefahren sind, wurden die Berghänge auf einmal grün, bunte Blumen standen am Straßenrand, ein toller Kontrast zum ver-schneiten Gipfel des 5775m hohen Vulkanes Taapaca, der zwischen den niedrigeren Bergen immer wieder hervorschaute.
Die Straße war sehr gut zu befahren, wir hatten ausreichend Zeit, das wechselnde Panorama zu bewundern. Auf 3500m erreichten wir die kleine Stadt Putre, die sehr schön in einem kleinen Hochtal liegt. Viel zu sehen gibt es dort nicht, aber wir füllten unsere Benzinvorräte an einer kleinen privaten Verkaufsstelle vorsichtshalber auf, trotz des horrenden Preises von 900CLP, das sind immerhin 2,3€ pro Liter! So teuer war der Sprit zum letzten Mal in Villa O'Higgins am Südende der Carretera Austral.
Weiter ging es durch wunderschöne Landschaft bergauf, durch den Nationalpark Lauca und zum Lago Chungará, einem der höchstgelegenen Seen der Welt (4570m). Durch den Nationalpark schlängelt sich die Straße zwischen großen Felsen hindurch, am Straßenrand Reste von Schnee, kleine Bäche mit vereisten Rändern begleiten die Strecke. An den Hängen sieht man hellgrüne, weich scheinende Polsterpflanzen, Llareta genannt oder auf Latein Azorella Compacta, die der Höhe angepasst sind und nur 20mm im Jahr wachsen.
Der Lago Chungará zeigt sich in tiefem Blau vor den Schneegipfeln der Vulkane Pa-rinacota, Sajama und Quisiquisini. Einige Flamingos staken durch das eiskalte Was-ser, überall weiden Herden von Lamas und Alpakas, letztere in allen Farben, die man in deutschen Wolleläden kaufen kann, auf den hellgrünen Bergwiesen.
Auf 4600m verabschieden wir uns zum (vorläufig) letzten Mal von der uns inzwischen sehr vertrauten chilenischen Kultur und fahren ins unbekannte Bolivien. Schon an der Grenze, 20km hinter dem chilenischen Grenzposten sieht man den Unterschied deutlich: überall sitzen buntgekleidete ältere Frauen auf dem Boden und wollen irgendwas verkaufen, die Grenzgebäude und -formalitäten sind unübersichtlich. Wir werden irgendwo in einen dunklen Laden geschickt, um unsere Papiere kopieren zu lassen, dann geht es weiter. Nach Zahlung einer ersten Maut von 10 Bolivianos (ca. 1€) lässt uns ein Junge über ein schwarzes Gummiband ins Land hineinfahren. An der Tankstelle zahlen wir für einen Liter Sprit 3,74 Bols, also knapp 40 Eurocent.
Die Landschaft, die uns nun entgegenkommt, ist sehr abwechslungsreich und schön: große Canyons aus erodiertem roten, gelben oder grauen Gestein, gnomenhaft verwitterte Steintürme stehen in stummen Hundertschaften neben der Straße, kleine Adobehäuer mit Strohdächern in allen erdenklichen Zuständen, aber fast immer noch bewohnt, überall an den Hängen. Und im Gegensatz zu Chile sind hier überall Menschen auf und neben der Straße unterwegs, treiben ihr Vieh oder sitzen am Straßenrand und warten auf irgendetwas, vielleicht einen Bus. Die Armut ist deutlich sichtbar: die Leute sind zu Fuß oder auf Fahrrädern unterwegs, man sieht hier kaum PKW auf der Straße.
Kurz vor "Feierabend" fängt Jolly an, komische Geräusche von sich zu geben, die von der Antriebskette zu kommen scheinen. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass die Rolle, die ein Nach-oben-schlagen der Kette verhindern soll, sich gelöst hat und ein kleines Blech an der Kette schleift. Hmmm - muss das nun sein? Mit gemäßigtem Tempo fahren wir noch ein Stück weiter, denn wir sind noch immer über 4000m, doch zum Glück geht es nun bergab bis auf 3800 und wir finden eine nette Ecke im verwitterten Stein ein paar Meter neben der Straße kurz vor Sonnenuntergang.
Wir haben kaum die Helme vom Kopf, da kommt schon der erste Besucher: ein 10-jähriger Junge namens Primitivo (er heißt tatsächlich so!) kommt barfuß angerannt und bestaunt uns und unser Equipment mit allen Sinnen. Wir müssen ihn etwas bremsen, denn er kennt keine Distanz, will aufs Mopped klettern, grabscht alles an und macht seinem Namen alle Ehre. Freundlich ist er, aber sehr aufdringlich. Nach einer Weile hat er scheinbar genug gesehen und auch ein Stück Brot bekommen und zieht wieder ab. Wir atmen auf und wollen uns gerade ins Zelt zurückziehen zum Abendbrot, da kommt er wieder, diesmal mit seinem Bruder Marcelo als Verstärkung. Wir quatschen noch etwas mit ihnen und wollen sie dann nach Hause schicken, um in Ruhe essen zu können. Das ist ihnen nur sehr schwer verständlich zu machen, ich muss schon sehr deutlich werden, um unsere Grenze zu wahren. Irgendwann trollen sie sich, nachdem ich ihnen gesagt habe, sie könnten morgen früh um neun wiederkommen.

Sonnabend, 24.05. - von Puerto Japones nach La Paz
Neun, hatte ich gesagt! Um acht standen sie schon vorm Zelt und als wir uns nicht gleich rührten, zwutsch, war das Zelt offen und sie guckten neugierig rein. Da war dann ein kleines Donnerwetter fällig wegen Hausfriedensbruch, ich vertröstete sie auf eine halbe Stunde und wir krabbelten noch etwas müde aus dem Schlafsack, um uns der Herausforderung zu stellen. An gemütliches Frühstück war nicht mehr zu denken! Wir machten nun eine Arbeitsteilung: Thomas packte und ich beschäftigte die Jungs, malte eine Weltkarte in den Sand, zeigte ihnen Bolivien und Deutschland darauf (sie hatten wirklich noch überhaupt keine Ahnung, kannten nicht einmal La Paz und wussten auch nichts von Meeren, die um die Kontinente herumspülen), machte haufenweise Fotos von ihnen, die sie sich dann angucken konnten und führte ihnen zum ersten Mal in ihrem Leben vor, wie man Zähne putzt. Mit tellergroßen Augen schau-ten sie zu, wie mir der weiße Schaum aus dem Mund troff und staunten über die Haare auf Thomas' Unterarmen, lauter unbekannte Dinge. Zwischendurch versuch-ten sie, mir noch irgendwas aus dem Küchenkoffer zu leiern oder sonstige materiellen Vorteile aus unserer Anwesenheit zu ziehen. Als alles fertig verpackt war und sie bemerkten, dass wir tatsächlich weiterfahren wollten, hielten sie sich nach ausgiebigem Abschied noch an meinen Alukoffern fest und wollten mich nicht fahren lassen. Erst als ich richtig Gas gab, ließen sie los und blieben stehen. Wir winkten von der Straße aus noch mal zurück und waren so früh unterwegs wie schon lange nicht mehr. Es war noch richtig kalt (in der Nacht waren es -9°C gewesen) und wir froren auf den Motorrädern. Nach den ersten 40km stoppten wir und holten das Frühstück nach... geflüchtet vor zwei kleinen Jungs... Bei der Einfahrt nach Patacamaya wieder eine Zahlstelle, für 8 Bols und nach Vor-zeigen unserer Führerscheine durften wir weiterfahren. Etwas unangenehm war, dass mein Führerschein (Original) sich deutlich von Thomas' Führerschein (Kopie) unterscheidet. Da wir bisher noch nie nach dem Führerschein gefragt wurden, war uns dieser Unterschied nicht im Bewusstsein. Dem Polizisten fiel er natürlich sofort auf, was aber keine Konsequenzen hatte.
Der Ort Patacamaya besteht im Wesentlichen aus der Kreuzung zweier Straßen und ist daher turbulenter Waren- und Menschenumschlagsplatz. Es wimmelt nur so von bunt gekleideten Frauen mit Bündel auf dem Rücken, Busse und LKW drängeln sich hupend durch die Menschenmenge, überall wird kleiner Handel betrieben, es riecht nach Abgasen und allem, was menschlich ist. Wir wollten "nur schnell" unsere Mails checken und suchten nach einem Internetladen. Als wir endlich einen kleinen dies-bezüglichen Hinterhof gefunden hatten, gab es dort leider keine Verbindung, also weiter nach La Paz. Auf den letzten 90km dorthin wurde der Verkehr zunehmend unangenehm, ein Bus schubste mich beim Überholen vor einer Bergkuppe fast von der Straße.
Noch 20km vor der eigentlichen Stadt fuhren wir durch staubige ärmliche Vorstadt, zu beiden Seiten der Teerstraße breite Sandstreifen, auf denen ebenso viel Verkehr rollte wie auf der Straße selbst. Minibusse stoppten unvermittelt, um Passagiere ein- oder aussteigen zu lassen, mitten auf der Straße, während von hinten der nachfol-gende Verkehr drängelte - ein unangenehmes Chaos, wo wir genug damit zu tun hatten, am Leben zu bleiben und uns nicht zu verlieren.
Bald fanden wir den ersten Ort, den wir auf der Wegbeschreibung des "Oberland"-Hotels entziffert hatten: es ging von der Hochebene rechts ab, über enge steile Schotterserpentinen überraschend mehrere hundert Meter tief in ein interessantes Tal. Wasser floss über diesen Weg nach unten, dieses und viele große rollende Kiesel weckten in mir die Hoffnung, diesen Weg nicht wieder hochfahren zu müssen. Unten angekommen folgten wir einer abenteuerlichen Kopfsteinpflasterstraße auf gut Glück und erreichten nach einiger Zeit wie durch ein Wunder die angegebene GPS-Position und auch das Hotel, wo wir auf dem Campinghof Bruno und Renate aus der Schweiz wieder trafen (sie waren auf der Uyunistrecke mit dabei und sind gestern hier angekommen).
Das Hotel liegt im gut situierten Viertel Mallasa, mitten im Valle de la Luna, einem stark zerklüfteten tiefen Tal, auf 3300m Höhe. Für 30 Bols p.P. (ca. 3€) kann man hier in einem verschlossenen Hof zelten und die Infrastruktur des Hotels, von Schwimmbecken (kalt) über Dusche und Klo bis Internetzugang mit benutzen. Wir ließen uns erschöpft in die Annehmlichkeiten fallen und bestellten gleich für abends eine Sauna (muss mit 35Bols extra bezahlt werden). Herrlich, am kühlen Abend dort abzuhängen und zu entspannen!

Sonntag, 25.05. - La Paz
Wie üblich in Städten, war die Nacht nicht so schön ruhig wie auf dem Altiplano, aber as ist nun mal dabei. In der Nachbarschaft wurde eine Hochzeit gefeiert und wir waren fast live dabei. Alle Hunde der Gegend ebenfalls.
Wir nutzten den Sonntag für eine erste Erkundigung der Großstadt. Während Tho-mas im Zelt eine Darmverstimmung auskurierte, fuhren Renate, Bruno und ich mit einem über Telefon angeforderten Taxi (wichtig: in La Paz werden häufig Menschen von kriminellen Taxifahrern ausgeraubt!) ins Zentrum der Stadt und schauten uns als erstes die große Kathedrale San Francisco an, wo gerade Messe gehalten wurde. Ein kleines Ensemble mit Gitarre und Gesang begleitete mit angenehmen Klängen die Kommunion in der großen Kirche, in der in wohlhabenden Zeiten viel Blattgold an den Altären verarbeitet wurde. So viel Protzerei hätte dem Namensgeber dieser Kirche sicher nicht gefallen...
Draußen vor der Kirche saßen viele Bettler, wirklich arme alte Menschen, daneben wickeln Geldwechsler ihre Geschäfte ab.
In den schmalen Straßen, die neben der Kathedrale bergauf führen, findet anscheinend der meiste Handel mit dem Tourismus statt: viele Tourenanbieter zum Titicacasee, dem Camino de la Muerte und zu anderen Zielen haben hier ihre Büros, daneben bieten Kunsthandwerker ihre schönen bunten Tücher, Taschen etc zum Kauf an. Angenehme Restaurants, in denen man bolivianisch billig, aber touristisch angepasst essen kann und genügend Geldautomaten, um die Zahlungsfähigkeit der Kundschaft sicherzustellen, runden das Bild ab. Mitten drin liegt unauffällig auf einem Hinterhof voller gurrender Tauben das Coca-Museum. Mit deutschem Begleitbuch ausgerüstet, ließen wir uns dort über die Verwendung des Cocablattes in Geschichte und Gegenwart informieren. Sehr interessant!
Nachdem wir in der Höhe des letzten Passes die hilfreiche Wirkung der Coca aus-probiert haben, war es spannend, über die medizinische Wirkung dieser uralten Kul-turpflanze zu lesen. Nachgewiesenermaßen hilft das Kauen der Blätter, die Verwertung des Luftsauerstoffes zu verbessern, was in der dünnen Höhenluft von Vorteil ist. Außerdem hilft es, den raschen Abfall des Blutzuckerspiegels nach der Insulinaus-schüttung (als Reaktion auf eine Nahrungsaufnahme), was wiederum zu einem er-neuten Hungergefühl führt, zu verhindern. Dies war für die Minenarbeiter früherer Zeiten sehr wichtig, die bis zu 48 Stunden ohne Pause und ohne Verpflegung in den Minen schuften mussten. Als die katholische Kirche beschloss, dass die Coca eine teuflische Pflanze und zu verdammen sei, brach die Arbeit in den Minen fast zusammen, worauf die Kirche gezwungen war, einen Rückzieher zu machen, um die Wirtschaft nicht zu gefährden. Der Kampf um die Coca zog sich über die Jahrhunderte bis in die heutige Zeit, wobei er an Brisanz zunahm durch die Isolierung des Kokain und das dadurch entstandene Suchtpotential. Das Museum wurde von einem Psychologen gegründet in dem Wunsch, durch umfassende Information die Jugend über Nutzen und Gefahren aufzuklären und damit zur Suchtprävention beizutragen. Einiges der angebotenen Informationen lassen sich auf der Internetpräsenz des Museums nachlesen. (www.cocamuseum.com) Abgefüllt mit neuem Wissen kümmerten wir uns nach dem Museumsbesuch um die körperliche Abfüllung und gingen in ein nettes Restaurant, wo wir durch die offene Tür das Leben auf der Straße beobachten konnten. Ein idealer Platz, um diskret und unauffällig Fotos von Menschen zu machen. Leider hatte ich keine Kamera dabei, um mich nicht so sehr vor Diebereien schützen zu müssen. Na ja, nächstes Mal..
Den Rückweg nach Mallasa machten wir für 2 Bols p.P. mit einem klapprigen Colectivobus, der uns durch die verstopfte Innenstadt in unseren Vorort schaukelte. Wir hatten dabei genug Zeit, uns die Besonderheiten dieser Stadt voller Gegensätze durch die dreckigen Fensterscheiben anzuschauen und brauchten uns nicht vor räu-berischen Taxifahrern fürchten.

Montag, 26.05. - La Paz
Faulenzertag nach unruhiger Nacht. Wir sitzen träge in der Sonne herum, machen Internetarbeit und unterhalten uns - tut richtig gut. Bruno muss mit seinem Truck in die Werkstatt, Renate verbringt den Tag mit uns auf dem Camping. Am Abend testen wir drei die Küche des Oberlandhotels und fallen gut gesättigt nach einem Quinoa-Risotto früh auf die Matten.

Dienstag, 27.05. - La Paz
Bisher war jede Nacht durch laute Musik und Palaver unterbrochen, das nervt etwas, aber wir müssen hier ja nicht auf Dauer leben. Nach dem Ruhetag gestern kann heu-te ruhig schon mal wieder etwas Aktion stattfinden: Thomas macht aus unseren zwei klapprigen Organizern einen funktionierenden, ich kümmere mich um Jolly. Auf der letzten Tour hätte ich beinahe die obere Rolle der Kettenführung verloren. Sie hatte sich wohl losgerüttelt und fing an zu schleifen und zu klappern. Da meine Kette durch den Öler gut feucht gehalten wird und man an die Befestigung der Rolle nur sehr schwer herankommt, war diese Arbeit mit sehr schwarzen Händen verbunden.. Weiter liegt nicht viel an, wir warten auf Erwin, Isa und Guido, die in den nächsten Tagen au Cochabamba hier erwartet werden.

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