Südamerika Reiseberichte

Bolivien
 
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Freitag, 04.07. - kurz vor Santa Rosa
Nach zwei Wochen Urlaub in Rurre sind wir heute wieder mal aufgebrochen und ca. 70km gefahren. Da wir vorher noch soooo viel zu erledigen hatten (Einkauf, Mailcheck, Verabschiedungen, das nach einem nächtlichen Kater stark duftende Tarp abwaschen, all unseren Kladderadatsch wieder in die Packtaschen verstauen and so on..), fuhren wir erst um drei Uhr nachmittags heftig winkend aus Rurre ab, bekamen glücklicherweise an der Tankstelle Benzin und starteten durch.
Das heißt, wir wollten durchstarten, jedoch ein Straßenräuber in Polizeiunform stoppte mich mit einem Pfiff aus seiner Trillerpfeife. Meinen Führerschein wollte er sehen - okay, darf er. Schaute sich meine gerade gestern angefertigte plastifizierte Kopie an und behauptete dann, dieser würde hier nicht gelten, denn hier sei schließlich Bolivien. Ich entgegnete, bei diversen Polizeikontrollen sei ich darauf noch nie hingewiesen worden, aber er bestand darauf und hielt mir ein kleines Stück Papier mit maschinengeschriebenem Namen hin: so was bräuchte ich und könnte es mir gleich auf seinem Posten ausstellen lassen. Oder ich könnte auch eine kleine Geldbuße zahlen... Die Dollarzeichen in seinen Augen erloschen, als ich sagte, okay, dann komm, gehen wir in den Posten und füllen so ein Teil aus. In dem kleinen Büro saß ein zweiter Polizist an einer Schreibmaschine und schaute fragend, als wir hereinkamen. Der erste zeigte ihm diesen kleinen Zettel und sagte, so etwas solle er mir ausstellen. Der an der Schreibmaschine nahm meinen und Thomas Führerschein in die Hand, studierte sie ausführlich, gab sie mir dann zurück und sagte, ich könne weiterfahren. Er hatte anscheinend keine Lust auf die korrupten Spielchen seines Kollegen. Ich bedankte mich überrascht und ging. Dabei hatte ich mich gerade auf eine längere Debatte eingestellt über dieses hanebüchene Papier....
Die Strecke nach Reyes kam mir auf dem Mopped viel kürzer vor als neulich im Landcruiser, recht schnell hatten wir die 30km abgehoppelt und siehe da, in Reyes gab es sogar ein einziges Exemplar des noch fehlenden Simmerrings für Fosters Radlager, na, so ein Glück!
Kurz nach dem leuchtend roten Sonnenuntergang fanden wir tatsächlich die Estancia, von der Erwin mir am Telefon erzählt hatte: sie hatten dort auf einer Wiese übernachtet und das Halsband ihres Hund liegen gelassen. Wir fragten ebenfalls um Erlaubnis, dort übernachten zu dürfen und fanden das vergessene Halsband mit Hilfe der dort wohnenden Kinder sofort. Na, da werden Erwin und Isa sich ja freuen! Wir bauten unser Häuschen auf und haben nun endlich mal wieder einen ruhigen Schlafplatz ohne Discomusik, nur zirpende Grillen begleiten uns in der Nacht. Und morgen früh kriegen wir sogar frische Milch, hat uns einer der Jungs noch gesagt. Perfekt!

Sonnabend, 05.07. - Puerto Teresa
Wir wachten früh morgens wunderbar ausgeschlafen auf. Die erste Nacht ohne Lärm und Ohrstöpsel! Das erste Erlebnis des Tages war ein schöner Sonnenaufgang. Da die Landschaft hier so flach ist wie Dithmarschen, hat man hier überall einen guten Blick darauf. Wobei in Dithmarschen die Palmenkulisse und die herumschreienden Papageien fehlen.
Vor dem Frühstück ging ich mit einer Flasche in der Hand zu den Häusern, um nach der Milch zu fragen. In einem Holzhüttchen mit altertümlichen Gerätschaften, wie z.B. einem großen hölzernen Mörser für Getreide, füllte mir eine junge Frau kuhwarme Milch in die Flasche und lehnte etwas verlegen das angebotene Geld ab. Mit meiner Beute kehrte ich zurück und wir kochten die Milch für unseren Frühstückskaffee auf (sicher ist sicher!). Noch während wir aßen, kamen drei Kids "zufällig" in der Nähe des Zeltes vorbeigeschlendert - als wir sie grüßten, bogen sie sofort von ihrem Weg ab und kamen zu uns. Sie bestaunten unseren Frühstückstisch und all unsere Sachen, ließen sich begeistert fotografieren und schleppten mich dann ab, zum Hof. Dort lernte ich ihre Mütter und kleineren Geschwister kennen und durfte weitere Aufnahmen machen. Mit Baby auf dem Arm, mit Blume in der Hand, zu zweit vor dem Baum, zu dritt vor einem anderen Baum, sie waren unersättlich. Das Gute an der modernen Fotografie ist, dass man die Bilder, wenn schon nicht aushändigen, so doch jedenfalls sofort zeigen kann und so kamen sie nach jeder Aufnahme angesprungen und freuten sich riesig über das Ergebnis. Als ich zum Zelt, wo Thomas inzwischen mal wieder den Aufräumjob hatte, zurückging, kamen alle mit, erst die Kinder, dann auch die Mütter mit den ganz Kleinen. Auch die Mütter bestaunten nun die schwer beladenen Motorräder und das Zelt, setzten sich dann in der Nähe in den Schatten und schauten uns freundlich beim Packen zu. Als ich unsere Bolivienkarte herausholte, um dem größten Jungen unsere Strecke zu zeigen, kamen alle interessiert herbei und schauten sich ihr Land auf Papier an. So was hatten sie noch nie gesehen und waren begeistert!
Als alles verpackt war, verabschiedeten sie sich herzlich von uns und wir fuhren, wieder neue Freunde hinter uns lassend, winkend davon.
Richtung Santa Rosa, noch 30km entfernt, lag ein kleiner (ca. 2m lang) überfahrener Alligator auf der Straße...
Im Ort hielten wir bei einem kleinen Restaurant an und füllten unseren Flüssigkeitshaushalt mit etwas Cola auf, alle Klamotten waren schon komplett durchgeschwitzt. Die Leute, die im Schatten vor dem Restaurant saßen, amüsierten sich köstlich über uns - wir müssen sehr merkwürdig auf sie wirken mit unserer Schutzkleidung, hier fahren alle in ihrer normalen Kleidung, Helme haben nur die allerwenigsten Moppedfahrer.
Man kündigte uns an, hinter Santa Rosa werde die Straße bedeutend besser, so fuhren wir frohgemut weiter - und kamen auf eine sehr breite, aber mit teilweise 10cm dicker Staubschicht bedeckte, extrem wellige Strecke. Man musste sich meterweise vorwärts arbeiten, Durchschnittsgeschwindigkeit ca. 20km/h. Langsam entgegenschaukelnde Trucks ließen uns in riesigen Staubwolken blind zurück. Wie jetzt - "bessere Straße"?
Bald folgten wir dem Beispiel anderer Moppedfahrer und wichen von der Straße auf die kleinen Trampelpfade am Wegesrand aus. Dort war der Boden etwas fester, aber es ging ständig auf und ab über heftige Unebenheiten, Geländeeinsatz pur. Nach wenigen Kilometern brauchten wir eine Pause, trockneten die schon wieder durchgeschwitzten Sachen und futterten zur moralischen Unterstützung erstmal eine Rolle Kekse auf. Ein älteres Paar auf einem kleinen Mopped kam vorbeigefahren, beide hatten gelblich graue Haare und gleichfarbige Gesichter vom Staub der Straße und lächelten freundlich. Wir rechneten uns aus, wie lange wir wohl für die nächsten 500km brauchen in diesem Tempo (ca. eine Woche) und machten uns wieder auf den Weg. Was soll's, das Wetter ist schön, wir haben genug Benzin, Wasser und Essen an Bord.
Aber nach kurzer Zeit begann tatsächlich die versprochene gute Strecke: glatter Boden mit kleinen roten Steinchen bedeckt, kaum noch Löcher - wow! Wir gaben Gas und schafften endlich etwas mehr Strecke, obwohl wir bei 60km/h schon fast einen Geschwindigkeitsrausch bekamen nach all dem Geholper der letzten Zeit.
Der nun aufkommende Fahrtwind kühlte angenehm, die weite Sumpflandschaft mit bunten Blumen und vielen Reihern und anderen Vögeln war schön anzuschauen. Als nächstes fanden wir ein totes Ozelot auf der Straße, dann eine ca. 120cm lange grün glänzende Giftschlange (grüne Mamba?) mit gebrochener Wirbelsäule, sich noch langsam windend. Wir legten sie in den Schatten am Rand, da kann sie jedenfalls in Ruhe sterben. Ein kleiner Geier und ein schon länger daliegender kleiner Ameisenbär waren ebenfalls dem Verkehr zum Opfer gefallen, der schneller fließende Verkehr hier fordert seinen Tribut.
Gegen halb fünf am Nachmittag kreuzten wir in Yata einen Fluss über eine große Brücke, um die herum sich eine kleine Siedlung gebildet hat. Dort fanden wir einen schattigen Platz neben einem verlassenen Haus oberhalb des Ufers. Die Leute, die wir fragten, meinten, es würde niemanden stören, wenn wir dort campieren und so bauten wir das Zelt auf.
Ein kleiner Junge nutzte unsere Anwesenheit für seine Radfahrübungen und kreiste mit Beständigkeit um unser Lager herum.
An einem Brunnen konnte Wasser zum Waschen gepumpt werden, gekühltes Trinkwasser konnte ich in einem kleinen Laden kaufen, Bäume für Thomas' Hängematte gab es auch, recht gemütlich. Nur der überall herumliegende Müll und viele Tierknochen störte etwas die Idylle. Hühner gackelten herum, eine kleine Schweinefamilie kam vorbei und ging zum Fluss, eine Suhle nehmen. Ich ging ihnen hinterher und sah ein Stückchen weiter im Fluss ein großes Krokodil schwimmen. Ziemlich nah, genau genommen.
Ob Krokodile in Zelten schlafende Menschen überfallen?
Diese Frage beschäftigte mich auch in der Nacht, als häufig schwer platschende Geräusche vom Ufer zu hören waren. Irgendwie konnte ich lange nicht wieder einschlafen und beschäftigte mich mit den zu ergreifenden Maßnahmen im Falle eines ins Zelt hereinragenden Maules...

Sonntag, 06.07. - Hotel Sheraton, irgendwo in Amazonien
Gutes Vorwärtskommen auf der Straße. Die schöne grüne Landschaft flog regelrecht vorbei, der Fahrtwind kühlte angenehm, so macht Reisen Spaß! In dem kleinen Örtchen Australia hielten wir an einem Lädchen an und kauften ein paar Kekse und eine etwas zu süße Ananaslimonade (hätte ich nicht gedacht, dass man von Bolivien aus so schnell nach Australien kommt). Innerhalb kurzer Zeit versammelten sich zehn freundlich-neugierige Menschen um uns und die Motorräder. Es wurde Probe gesessen und viel gelacht, dann verabschiedeten wir uns und fuhren weiter.
Noch ca. 250km bis Riberalta. Wenn's so bleibt mit der Straße, sind wir übermorgen da.
Um halb vier stand auf einmal dieses Schild an der Straße, das auf das oben genannte Hotel verwies. Um jedenfalls einmal im Leben im Sheraton gegessen zu haben, hielten wir an. Und weil es so nett ist, sind wir gleich hier geblieben.
Schöner als hier kann es im Original-Sheraton auch nicht sein: Wir wohnen also heute unter einem schwer beladenen Pampelmusenbaum neben einem malerischen Brunnen mit frischem, klarem Wasser, ein angenehmer Wind weht, um uns herum allerhand Geflügel und wieder viele nette Menschen. Die Besitzerin des Hotels will für unser Campieren nicht mal Geld haben. Sie sagt, es reicht ihr völlig, wenn wir uns nur wohl fühlen bei ihr. So bekamen wir gleich ein paar Mandarinen in die Hand, die jungen Mädels öffneten mir eine, mit leckerer sonnenwarmer Milch gefüllte Kokosnuss direkt vom Baum und ein einfaches warmes Essen bekamen wir auch (das werden wir aber jedenfalls bezahlen). Es ist sehr angenehm, etwas früher Feierabend zu machen, so bleibt doch mehr Zeit für alles Mögliche, bevor es dunkel wird.
Zum Beispiel für die eigene Körperpflege: die Señora hatte angeboten, man könne sich baden. Darauf zurückkommend fragte ich nach dem Ort, wo dies möglich sei und wurde von einem der jungen Mädchen quer durch die ganze Landwirtschaft zu einem Ententeich geführt. Dort hatte man ein paar Holzgestelle gebaut und einen gemauerten Wasserbehälter. Aus diesem schöpft man sich mit einem Eimer das benötigte Wasser und, mit einem zweiten, kleinen Plastiktöpfchen spült man sich ab. Drei nackte Männer standen dort, von Kopf bis Fuß eingeseift und ließen sich nicht weiter durch mein Erscheinen stören. Ich war doch etwas irritiert... Das Mädel zeigte mir ein kleines Separé, einen dreiseitig geschlossenen Holzverschlag, bei dem allerdings etliche Bretter, ungefähr in Pohöhe, fehlten und brachte mir das oben beschriebene Waschgeschirr. Jjja... na gut, dann muss ich mich nun wohl waschen... Die Männer amüsierten sich, ich versuchte, so unverkrampft wie möglich meiner Arbeit nachzugehen, hatte aber nicht ganz so die Ruhe dabei. Trotzdem fühlte ich mich hinterher frisch. Nach Tagen des heftigen Schwitzens und staubiger Straße eine Wohltat, wenn auch sehr vergänglich.
Hier in der Gegend ist es für uns leicht, einen Übernachtungsplatz zu finden. Die Menschen sind arglos und freundlich-interessiert, wir können überall nach einem Zeltplatz fragen und fühlen uns sicher in der Nacht. Niemand schielt nach unseren Sachen - im Gegenteil, wir werden noch beschenkt mit dem, was die Natur hier gedeihen lässt und der Herzlichkeit der Menschen.

Montag, 07.07. - Nueva Esperanza am Rio Beni
Eigentlich schade, von dem netten Hotel in der Pampa wieder aufzubrechen. Diese kleine eigene Welt mitten im Nichts ist so idyllisch, dass ich gerne noch etwas geblieben wäre.
Wir konnten ein paar Eier kaufen und die Señora schenkte uns ein paar leckere kleine Bananen und Apfelsinen, wie nett von ihr. Als wir uns verabschiedeten, saß sie mit ihren Mädels am Schlachttrog und entleerte Schweinedärme. Bedauernd ließ sie uns weiterziehen, mit guten Wünschen für die Weiterreise.
Auf der immer noch guten Piste fuhren wir durch Pampa und Urwald. Am Straßenrand, an vom Staub des Weges braun eingefärbten Büschen, violette und leuchtendgelbe Blüten, es duftete herrlich. Die Temperatur bewegte sich um die 34°C, der Wind blies heute von rechts und pustete die Staubwolken der wenigen entgegenkommenden Trucks von uns weg, sehr angenehm. Vor uns sahen wir plötzlich eine große Rauchwolke. Als wir näher kamen, hörten wir es schon knacken und knistern: der Busch brannte auf der rechten Straßenseite auf einer Länge von ca. 300m. Wir holten tief Luft und fuhren direkt in den dicken Qualm hinein. Da der Wind ebenfalls von rechts kam, züngelten die Flammen teilweise schon auf den Weg, es wurde uns recht warm. Hinter der Rauchwand saßen schon die Greifvögel und Geier und warteten auf die Überreste des Feuers. Ich hab sie ja leise im Verdacht, dass sie selbst zündeln, um mal was Gebratenes zu bekommen.
Nach 140km erreichten wir "El Chorro". Eine Tankstelle und ein paar Häuser drum herum und, was für uns wichtig war: die Kreuzung, an der wir uns entscheiden mussten, in welche Richtung wir weiterfahren würden.
Die eine Möglichkeit, über Riberalta und Guayaramerin nach Brasilien, wo es eine geteerte Straße Richtung Westen bis nach Peru gibt, versprach, wie gesagt, Teer, wäre aber um einiges länger. Die andere Möglichkeit führt weiter durch Bolivien nach Cobija, von wo aus man ebenfalls nach Peru einreisen kann. Diese Strecke ist nur ca. 400km lang, aber weiterhin Piste und bietet keinen Ausflug nach Brasilien. Da die Meinungen der dort im Schatten sitzenden Leute über den Straßenzustand der Piste nach Cobija einheitlich eine gut fahrbare Strecke darstellten, die zudem noch einige Flussüberquerungen mittels Pontonfähren beinhaltet, entschieden wir uns kurz entschlossen gegen die brasilianische Variante und wendeten unsere Pferde gen Westen.
Die erste Fähre, neben einer fast fertigen großen Betonbrücke, war fast so lang, wie der Fluss breit. Wir rutschten mehr, als wir fuhren, einen sandigen Abhang hinab und über Holzbohlen auf den Ponton. Nach ein paar Minuten kamen vier oder fünf Leute und setzten das schwere Teil mittels einer Leine, an der alle zogen, in Bewegung. Auf der anderen Seite wurde mit Armeskraft abgebremst und eine andere Holzbohlenrampe in Position gebracht (abenteuerlich!). Wir mussten nun jeder 10 Bs zahlen und wieder über das dicke Brett an Land balancieren. Ging besser als gedacht.
Bald kamen wir an den viel breiteren Rio Beni, den wir ja aus Rurre schon kennen. Dort lag ebenfalls ein Ponton vertäut, dieser allerdings angetrieben von einem großen Dieselmotor in einem kleinen Beiboot. Fünf schläfrige junge Männer, mit dicken Backen voller Kokablätter, hießen uns willkommen. Wir würden noch warten, bis der nächste Truck käme, sagten sie uns. Für zwei Motorräder, sprich 20 Bs, lohnt die Fahrt wohl nicht. Ein Truck kam nach einer Viertelstunde und nun wurden wir übergesetzt. Wieder war das Abladen der spannendere Teil, aber auch hier klappte es unfallfrei.
Angesichts der fortgeschrittenen Tageszeit blieben wir gleich vor Ort am Fluss für die Nacht. In der Nähe eines RIESIGEN Baumes, dessen Brettwurzeln so groß waren, dass man sich dazwischen leicht ein Schlafzimmer einrichten könnte, schlugen wir das Lager auf. Schneller als uns lieb war, bekamen wir Besuch von zwei Männern, die uns unterhielten, bis es dämmerte und wir vor den plötzlich in hellen Scharen angreifenden Mücken ins Zelt flüchteten (hier gibt es anscheinend eine etwas erhöhte Malariagefahr, das muss ja nicht sein).
Als Thomas später noch mal aus dem Zelt kletterte, erschrak er doch recht heftig: eine maurerhandtellergroße schwarze Vogelspinne saß auf der äußeren Zelthaut neben der Tür! Sie tun ja nichts, aber so unvermittelt am Zelt sind sie doch gewöhnungsbedürftig! Geduldig ließ sie sich fotografieren und filmen, bevor sie auf einmal spurlos verschwand und nicht mehr wiedergefunden werden konnte. Wie gut, dass unser Zelt so dicht ist! Ich muss auch heute gar nicht mehr raus! Zähneputzen geht auch im Zelt und gepinkelt wird nicht mehr. Na gut, die Spinne macht mir keine Sorgen, aber die Mücken sind schon sehr aufdringlich...

Dienstag, 08.07.
Die morgendlichen Geräusche rund ums Zelt weckten uns sanft auf: vielstimmiges Grunzen diverser Schweinefamilien, die die Wiese nach Essbarem durchwühlten, große Schwärme von Papageien kreischten in der Krone des großen Baumes, Hühner gackelten zufrieden, richtig nett. Als wir uns eben zum Frühstück hingesetzt hatten, sahen wir auf einmal einen experimentierfreudigen Stier neben Foster stehen und genüsslich Thomas' Handtuch durchkauen. Stück für Stück verschwand es in seinem mahlenden Maul. Thomas sprang auf Strümpfen aus dem Zelt und hinter dem nun flüchtenden Stier her, der dabei vor Schreck das Handtuch fallen ließ. Zum Glück war es nur schleimig, aber noch heil.
Eine genauere Betrachtung des großen Baumes (wenn ich es richtig verstanden habe, wird er Mallaho genannt und ist der größte Baum, den es im bolivianischen Dschungel gibt) zeigte uns, dass er gerade am Ende seiner Blütezeit ist. Aus der gigantischen Baumkrone plumpsten ständig weiße Blumen und kleine Früchte herab, die den ganzen Boden bedeckten. Tausende von Bienen saßen auf den abgefallenen Blüten.
Beim Weiterfahren zeigte sich die Straße als recht wechselhaft. An manchen Stellen wurde gerade frisches Erdreich aufgeschüttet, dort war nur eine schmale Spur befahrbar, auch Wellblech und weichsandige Löcher gab es stellenweise, aber meistens konnten wir mit 50-60km/h fahren. Bis zum nächsten Fluss, den Rio Madre de Dios und dort zu dem Ort Sena, wo es wieder eine Pontonfähre gibt, waren es 72 schöne Kilometer durch teils intakten, teils brandgerodeten Urwald. Auf den gerodeten Flächen weideten Kühe zwischen den verkohlten Baumstämmen, manche von ihnen liegend höher als ein Kuhrücken. Kann man sich vorstellen, wie groß die Bäume waren, die da für neue Weideflächen weichen mussten.
Sena erreichten wir um die heißeste Mittagszeit. Am Ortseingang mussten wir uns registrieren lassen, dann durften wir weiterfahren. Eine Doppelreihe Straßenlaternen erweckten den trügerischen Eindruck einer größeren Stadt, wo doch nur eine kleine Siedlung um den Fähranleger herum existiert. Wir mussten diesmal länger auf die Fähre warten, weil es hier nicht nur auf die andere Flussseite geht, sondern aus einem kleineren Fluss hinaus und den größeren ein ganzes Stück stromaufwärts. Da nur zwei Pontons unterwegs sind, dauerte es halt. Die Wartezeit verbrachten wir am Fähranleger im Schatten mit hitzefaulem Nichtstun und der Beobachtung der Menschen. Wir stellen z.B. fest, dass die Leute hier großen Wert auf gepflegte Haare legen. Selbst über den abgerissensten Klamotten sieht man meistens frisch gewaschene und gekämmte Haare.
Irgendwann kam die Fähre den Fluss hinab und es konnte losgehen. Die Abfahrt war recht steil und mit dickem Staub bedeckt. Ich rollte langsam hinunter, um mir die Rampen anzuschauen, die oft recht schwierig sind (große Absätze etc). Anhalten ging allerdings nicht mehr, beim Bremsen rutschte Jolly nur durch den Staub weiter bergab. Also Gas und rauf aufs Boot, zum Glück gab es kein Problem mit den Rampen. Thomas kam nach, dazu ein Auto und zwei Trucks und dann legten wir auch schon ab. Der, wieder mit einem großen LKW-Motor angetriebene Holzkasten, schob und zerrte an dem beladenen Ponton herum, bis dieser richtig herum in die Strömung des Flusses kam. Ein älterer Mann stand auf der Brücke des Bootes und rangierte sehr gekonnt. Er und seine ganze Familie leben auf dem Boot in zwei kleinen Räumen, immer hin und her auf dem Fluss. Die Flussreise dauerte in etwa eine halbe Stunde, dann legten wir auf der anderen Seite des Rio Madre de Dios an. Auch hier war es wieder weich und steil, aber so allmählich kommen wir in Übung.
Noch 30km weiter fuhren wir, bis in den kleinen Ort Conquista, wo wir unter großen Bäumen gegenüber dem, wegen der Winterferien geschlossenen, Schulgebäude auf grünem Rasen zelten durften.
Eine große Gruppe Frauen und Kinder besuchten uns zum Kennenlernen. Sie hatten so komische Leute wohl noch nie gesehen, die lieber in so einem kleinen Stoffhaus übernachten als in einem richtigen Haus (wir haben in den letzten Tagen durch die vielen Kontakte ziemlich viele Flohstiche an uns feststellen müssen und lehnten darum das nett gemeinte Angebot einer älteren Frau ab, in ihrem Haus zu schlafen).
Immer wieder staunen die Frauen darüber, dass ich so ein großes Motorrad fahren kann und schauen sich alles genau an. Bei der obligatorischen Fotosession kamen sie dann alle mit ihren Babys angeschleppt, die auch fotografiert werden sollten. Einige der jungen Mütter waren höchstens 14 Jahre alt... Irgendwann beschlossen einige der Frauen, dass man uns nun in Ruhe lassen sollte und zogen ab. Die restlichen schauten noch ein Weilchen zu, wie wir unser Müsli zubereiteten und aßen und gingen dann zum Glück auch nach Hause. Sie sind ja alle sehr lieb und interessiert, aber wenn ich dann alle Fragen, die sich täglich im Wesentlichen wiederholen, beantwortet habe und dazu noch versucht habe, meinerseits etwas über ihr Leben herauszubekommen, ist irgendwann mein Pulver verschossen und ich freue mich, nicht mehr reden zu müssen.

Mittwoch, 09.07. - noch 100km bis Cobija
Morgens ließ man uns freundlicherweise in Ruhe, nur eine alte Frau in weißem Nachthemd und Gummistiefeln kam auf einen Klönschnack vorbei. Sie erzählte mir, dass da, wo nun unser Zelt stand, früher auch Häuser gestanden haben, die aber wegen dem Bau der Schule abgerissen werden mussten.
Zur üblichen Zeit machten wir uns davon und holperten weiter durch den Urwald. Viele bunte Schmetterlinge bevölkern den Weg, immer wieder auch neue Arten, die wir noch nie gesehen haben. Sobald wir irgendwo anhalten und ich meine verschwitzte Jacke zum Trocknen aufs Motorrad lege, kommen sie in großen Schwärmen angeflogen und freuen sich über die unverhoffte Salzlecke.
Die kleine Stadt Puerto Rico nutzten wir, um unsere zusammengeschmolzenen Lebensmittelvorräte aufzufüllen. Das versprochene Internet, von dem uns die Frauen in Conquista erzählt hatten, gab es nicht. Eine Krankenschwester, die uns vor dem Hospital ansprach, sagte, man gebe ihnen nur zwei Stunden am Tag Strom, darum gäbe es hier kein Internet. Erst in Cobija könnten wir damit rechnen. Na ja, eilt ja nicht.
Am Himmel braute sich, wie schon an den letzten Nachmittagen, eine graue Wolkenmasse zusammen. Bisher löste sie sich bis abends immer wieder auf, aber heute sah es doch sehr nach Regen aus. Bei Regen muss man auf dieser Erdstraße mit dem Mopped nicht unterwegs sein, darum suchten wir uns, als es zu Tröpfeln anfing, ein geschütztes Plätzchen, heute mal abseits jeder menschlichen Behausung. Ein paar Meter neben der Straße unter ein paar niedrigen Bäumen, schön versteckt, machten wir es uns gemütlich. Wir hatten noch genug Zeit, uns einzurichten, bis es anfing zu regnen. In der Ferne donnerte es einige Male, aber bei uns regnete es nur ein Weilchen. Danach war die Luft schön frisch und die Vögel des Waldes gaben uns ein Abendkonzert. Einem von ihnen fiel nicht mehr ein, als immer wieder in mittlerer Tonlage und mit einem weichen Klang eine kleine Sekunde auf und ab zu flöten. Es klang etwas melancholisch.
Der Sonnenuntergang in leuchtendem Orange, bei dem die letzten goldenen Strahlen auf die Krone eines der großen Bäume fielen, der seine toten Äste wie ein Mahnmal über den gerodeten Flächen ausbreitet, war nur für uns gemacht. Dann hieß es auch: ab ins Zelt, bevor die Mücken kommen. Trotz Repellent haben sie mich in den letzten Tagen so zugerichtet, dass ich wegen dem Juckreiz kaum zur Ruhe komme. Zum Glück ist die Malariagefahr hier nicht besonders hoch, sagte mir die Krankenschwester in Puerto Rico.
Inzwischen ist es dunkel geworden und der Vogelchor wurde von Grillen und lautem Froschgequake abgelöst. Hier bellt kein Hund, es rödelt kein Stromgenerator, es plärrt kein Radio. Herrlich! Stattdessen stoppt am späteren Abend ein LKW, man hört Schritte, ein Moped kommt dazu, der LKW fährt wieder weg, das Moped ist nicht zu hören. Ist es noch da? Etwas später: ein weiteres Moped kommt angefahren und hält an, was ist hier los, mitten im Nichts? In unserer Nähe hatten wir ungefähr zwanzig frisch geschälte und auf ca. 50cm Länge geschnittene Hölzer liegen sehen, wurden die nun abgeholt? Warum in der Dunkelheit? Irgendwas ist faul hier...
Weiter passierte allerdings nichts mehr und wir schliefen irgendwann ein.

Donnerstag, 10.07. - Cobija
Am Morgen, wir hatten beide üble Alpträume in der Nacht, bestätigte sich unsere Vermutung: die Hölzer waren weg. Ob sie hohl und mit Kokain gefüllt waren? Sehr geheimnisvoll...
Der Himmel hing noch voller Wolken, als wir aufstanden, aber bis zur Weiterfahrt war schon wieder blauer Himmel zu sehen. Ich hatte trotzdem heute keine Lust zum Fahren, ein Tag Pause wäre mal wieder fällig. Bis Porvenir hatten wir noch 95km vor uns, währenddessen die gerodeten Flächen stark zunahmen und kaum noch intakter Dschungel zu sehen war. Es tut uns in der Seele weh, die großen Bäume mit ihren verkohlten Ästen auf den Viehweiden stehen zu sehen. Wenn man den Dschungel mit seinem tausendfachen Leben gesehen hat, ist es kaum zu glauben, dass Menschen daraus dieses armselige Weideland machen! Unwiederbringliche Schätze gehen da verloren!
Kurz vor der Stadt wurden die Estancias immer größer, die Häuser waren frisch gestrichen, selbst die Zäune hatten Farbe bekommen. So was sind wir ja gar nicht mehr gewohnt! Ab Porvenir hatten wir Teer unter den Rädern und fuhren die letzten 30km bis nach Cobija durch Agrarlandschaft auf guter Straße. Merkwürdiges Gefühl..
Ich dachte, ich führe im Hochsommer durch Angeln oder Schwansen.
Und dann erreichten wir die Grenzstadt Cobija. Von hier aus geht es nach Brasilien und Peru. Eine richtige Stadt, mit einer zollfreien Zone. Mal schauen, was man hier so alles kaufen kann. Seit La Paz hatten wir nur noch rudimentäre Einkaufsmöglichkeiten - vielleicht kriegen wir hier ja sogar richtigen Käse?

Morgen werden wir, aller Wahrscheinlichkeit nach, das Kapitel Bolivien mit Bedauern schließen und ein neues Land, Peru, erobern. Der nächste Newsletter wird aus Cuzco zu erwarten sein.



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